Das Kind der Rache
gesagt, daß er wieder sprechen
kann und daß er...«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Für Sie beide gilt, daß Sie
sich mit den Behinderungen abfinden müssen, denen Alex
künftig unterworfen sein wird. Es ist keine leichte Aufgabe,
was Ihnen bevorsteht.«
»Ich weiß«, sagte Ellen. »Ich hatte nicht erwartet, daß es
leicht sein würde. Ich weiß aber auch, daß Sie alles tun werden,
um meinem Sohn alle seine früheren Fähigkeiten
zurückzugeben. Schon das, was Sie bis jetzt getan haben, ist
ein Wunder.«
Dr. Torres war aufgestanden und schob seinen Stuhl zurück.
»Gehen wir jetzt zu Ihrem Sohn. Ich werde Sie einen nach dem
anderen ins Zimmer führen. Wir dürfen Ihren Sohn in dieser
Phase nicht überfordern.«
»Ich verstehe«, sagte Marsh. Zu dritt gingen sie den Flur
entlang. Als sie vor der Trennscheibe angekommen waren,
blieb Dr. Torres stehen. Sie betrachteten Alex, der reglos auf
seinem Bett lag. »Ist es egal, wer von uns beiden zuerst mit
dem Jungen spricht?« fragte Marsh nach einer Weile.
»Es ist am besten, wenn Sie als erster hineingehen«,
antwortete der Chirurg. Seine Worte waren an den Vater
gerichtet. »Sie sind selber Arzt und haben einige Erfahrung
darin, Ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten.«
Alex' Eltern wechselten einen raschen Blick. Ellen hatte
Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Geh du zuerst
hinein«, sagte sie. »Ich warte solange.«
Dr. Torres ließ Marsh in das Zimmer eintreten. Ellen konnte
durch die Scheibe beobachten, wie die beiden Männer zum
Bett ihres Sohnes gingen.
Als Alex Geräusche hörte, schlug er die Augen auf. Er hatte
keine Schwierigkeiten, Dr. Torres wiederzuerkennen. Aber
dann bemerkte er, daß sich außer dem Chirurgen noch eine
Person im Raum befand.
»Wer... sind... Sie?«
Eine kleine Pause folgte, dann gab der Fremde eine Antwort,
die den jungen Patienten überraschte. »Ich bin dein Vater,
Alex.«
»Vater?« echote Alex. Er hielt seinen Blick auf den Mann
gerichtet, der vor seinem Bett stand, und überprüfte in seiner
Erinnerung, wo er das Gesicht schon einmal gesehen hatte.
Plötzlich wurden die Züge, die ihm zunächst so fremd
vorgekommen waren, vertraut. »Papa«, sagte er. Und noch
einmal: »Papa.«
Er konnte sehen, wie sich die Augen seines Vaters mit
Tränen füllten. Dann hörte er ihn sagen: »Wie geht es dir, mein
Sohn?«
Alex suchte nach den richtigen Worten. »Schmerzen«,
flüsterte er. »Ich habe Schmerzen, aber es ist nicht so
schlimm.« Und dann fiel ihm ein Satz ein, den er vor langer
Zeit irgendwo gehört hatte. »Ich glaube, ich werd's überleben.«
Die beiden Männer sahen sich an. Dr. Lonsdale strahlte, als
er sich wieder zu seinem Sohn wandte. »Natürlich wirst du's
überleben, mein Sohn.«
Alex schloß die Augen. Schritte, die sich entfernten. Er war
wieder eingenickt, als er das Gefühl hatte, daß ihn jemand
ansah. Er schlug die Augen auf. Vor seinem Bett stand eine
Frau, deren schönes Gesicht von schwarzem Haar umrahmt
wurde.
»Mama«, sagte er mit brüchiger Stimme.
»Alex«, flüsterte sie. »Alles wird wieder gut. Du mußt keine
Angst haben, alles wird wieder wie früher.«
»Gut«, sagte er. Und dann war er so erschöpft, daß er binnen
weniger Sekunden einschlief.
Sie waren in Dr. Torres' Büro zurückgekehrt. »Das war's für
heute«, sagte der Chirurg, zu den Eltern gewandt. »Kommen
Sie bitte morgen um die gleiche Zeit, dann können Sie sich
wieder mit Alex unterhalten.« »Erst morgen?« fragte Marsh.
»Warum erst morgen?
Was ist, wenn Alex heute noch einmal aufwacht? Wenn er
nach uns fragt?«
»Er wird den Rest des Tages schlafen«, erwiderte Dr. Torres.
»Er wird schlafen, weil ich ihm ein Sedativ spritzen werde.«
Dr. Lonsdales Blick verdüsterte sich. »Ein Sedativ? Er ist
doch gerade erst aus dem Koma heraus. Sie sollten ihm jetzt
kein Beruhigungsmittel geben, sondern im Gegenteil
versuchen, ihn wachzuhalten.«
Dr. Torres' Antwort war von eisiger Kühle. »Ich erinnere
mich nicht, daß ich Sie um Ihren fachlichen Rat gebeten hätte,
Dr. Lonsdale.«
»Aber...«
»Wie auch immer, es interessiert mich nicht, was Sie zu dem
Fall zu sagen haben. Es wird also am besten sein, wenn Sie
Ihre klugen Vorschläge für sich behalten. Alex ist mein Patient,
nicht Ihrer, und ich behandle ihn mit meinen Methoden. Ich
dachte, ich hätte das bei unserem Gespräch vor der Operation
klargemacht. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen.« Er
öffnete die Tür und trat
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