Das Kloster (German Edition)
Zeit entflieht, und mit ihr das Leben jenes Aermsten! Kommt, folgt mir, Vater, und ohne einen Augenblick zu säumen!«
»Aber mein Sohn, wer wird denn so im Handumdrehen einem fremden Menschen folgen, den er zum ersten Male im Leben sieht, obendrein in einer Gegend wie dieser?« wandte der Greis ein. »Wenigstens mußt Du doch, ehe ich Dir folgen soll, mir Deinen Namen sagen und Deine Absicht künden!«
»Hier, guter Vater, ist nicht Zeit zu Auseinandersetzungen. Ich sage Euch doch, es steht ein Menschenleben auf dem Spiel. Ihr müßt helfen, sage ich Euch, Ihr müßt, oder ich bringe Euch mit Gewalt so weit, daß Ihr Ja sagt und mitgeht.«
»Nun, mein Sohn, der Gewalt bedarf es nicht,« erwiderte der Greis, »sofern es sich wirklich so verhält, wie Dein Mund mir kündet, denn in solchem Falle folge ich Dir gern willig, und um so eher, als ich in der Heilkunde nicht ganz unerfahren bin und ein Mittel in meiner Tasche trage, das Deinem Kranken gewiß wird nützlich sein können. Geh aber langsamer, mein Sohn, denn solchen Schritt kann ich nicht halten, bin ich doch von langer Wanderung stark entkräftet.«
Ungeduldig wie ein feuriges Roß, das von seinem Reiter gezwungen wird, mit einem langsamen Klepper auf einer Hochstraße gleichen Schritt zu halten, mit dem verhaltnen Ungestüm eines Wanderers, der einem Ziel entgegenjagen möchte, aber auf seinen Kameraden Rücksicht nehmen muß, weil ihm dieser noch nicht traut, lief Halbert an der Seite des Pilgers einher. Endlich hatten sie die Stelle erreicht, wo sie aus dem weiten Tale in die Schlucht hineinbiegen mußten. Hier aber blieb der Greis unschlüssig stehen, wie wenn er den Fuß nicht von der offnen Straße hinweg setzen möchte.
»Junger Mensch,« sprach er, »sofern Du gegen diese grauen Haare Schlimmes im Schilde führen solltest, so laß Dir wenigstens das eine sagen, daß Du wenig dabei wirst gewinnen können, denn ich trage keine Schätze bei mir, die Räuber und Mörder locken könnten.«
»Und ich, guter Vater,« entgegnete Halbert, »bin weder das eine noch das andre ... und doch, allmächtiger Gott im Himmel! kann ich zum Mörder werden, wenn Ihr nicht zeitig genug zu dem Verwundeten mehr kommt, ihm Hilfe zu bringen.«
»Verhält es sich wirklich so?« fragte der Greis. »Können menschliche Leidenschaften den Busen der Natur auch in ihrer tiefsten Einsamkeit bedrängen? Aber wieso sollte ich mich wundern, daß da, wo Finsternis herrscht, auch ihre Werke gedeihen? Ihr sollt den Baum erkennen an seinen Früchten ... heißt es nicht also in der Schrift? ... Geh voran, unglücklicher Jüngling! ich folge Dir.«
Und eifriger als bisher strengte der fremde Greis sich an, die Erschöpfung zu meistern, die sich seiner bemächtigt hatte, und mit seinem ungestümen Führer gleichen Schritt zu halten.
Endlich hatten sie die verhängnisvolle Stelle erreicht. Aber wie groß war das Erstaunen des jungen Schotten, als er keine Spur mehr von Piercie Shafton entdeckte! Daß ein Kampf hier stattgefunden hatte, dafür gaben noch deutliche Spuren Zeugnis. Und wenn auch der Mantel des Ritters zusammen mit seinem Leibe verschwunden war, so war doch sein Wams noch dort, wo er zuvor gelegen hatte, und der Rasen, auf den er gestreckt worden war, zeigte noch deutliche Blutspuren.
Als Halbert, von Schreck und Staunen wie gelähmt, um sich blickte, fielen seine Augen auf die Stelle, wo sich das Grab befunden hatte, und nun erst sah er, daß dasselbe nicht mehr offen, sondern zugeschüttet war. Die Erde schien also ihren neuen Gast bereits aufgenommen zu haben, denn der gewohnte Grabhügel war bereits errichtet worden und die Schollen lagen so akkurat aneinander gefügt, wie es kein Totengräber besser hätte machen können. Halberts bemächtigte sich unwiderstehlich der Gedanke, daß unter dem Erdhügel jener Mensch begraben liege, der vor kurzen noch geatmet hatte, aber durch seine grausame Handlungsweise einem frühzeitigen Grabe entgegengeführt worden war. Jene selbe Hand, die das Grab bereitet hatte, hatte nun auch das Werk vollendet und die Leiche darin geborgen! und wessen andre Hand konnte es sein, als die jenes geheimnisvollen Wesens, das er in seiner Waghalsigkeit angerufen, dem er vergönnt hatte, in sein Schicksal mit einzugreifen? Und als er so dastand, die Hände ineinander geschlungen und den Blick empor zum Himmel gerichtet, da wurde er aufgeschreckt durch die Stimme des fremden Greises, dessen Argwohn sich wieder regte, als er die Szene so völlig
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