Das Königsmal
nächste Begrenzung in jede Richtung bildete allein der Himmel. Wir lebten unbeschwert und doch beschwert, denn in keinem Augenblick verließ uns das Wissen um den Krieg.
Im Februar anno 1637 versammelten sich in Wien die Menschen, um ihren toten Kaiser zu betrauern. Ferdinand II. war von dieser Welt gegangen, hinein in sein gutes katholisches Himmelreich. Er wäre einen ruhigen Tod gestorben, hieß es, erschöpft gegen seine Kissen gelehnt, Frau und Tochter an seiner Seite. Der Habsburger war neunundfünfzig Jahre alt geworden, doch die ununterbrochene Anspannung des Krieges, Ausschweifungen gefolgt von religiöser Zucht und beständigen Gewissenskämpfen hatten ihn zu einem Greis gemacht.
Der Kaiser hatte sein Gelübde, Deutschland aus den Fesseln der Ketzerei zu befreien, nicht ganz erfüllen können, aber mit dem Frieden von Prag hatte er den Anspruch der katholischen Kirche auf einen großen Teil ihres alten Besitzes bestätigt.
Auf den Thron folgte ihm sein Sohn, Kaiser Ferdinand III., König von Ungarn, König von Böhmen und seit wenigen Monaten auch der König von Rom. Die Flugblätter zeigten uns eine große, stattliche Persönlichkeit. Er sollte fromm, aber weniger engstirnig als sein Vater sein – und hatte stets Österreichs Wohl im Blick. Die Fundamente seiner Welt gründeten auf Wien, Prag und Pressburg. Frankfurt am Main, die Stadt der Kaiserwahl und Hauptstadt des Reiches, war ihm lange Zeit feindliches Gebiet gewesen, hinter den Linien der Angreifer liegend, das Hauptquartier der Schweden. In einigen Kreisen sprach man davon, Ferdinand III. würde auf Friedensverhandlungen hinarbeiten.
DIE RÜCKKEHR
Kopenhagen und die Ostsee, anno 1644 und 1645
Der Runde Turm erhob sich strahlend aus den dunklen Fluten der Stadt, ein Leuchtfeuer der Weisheit und Stein gewordener Pakt des Menschen mit seinem allwissenden Gott. König Christian hatte das Observatorium schon vor mehr als einem Jahr eröffnet, seine Kühnheit gepriesen und die Kraft des Ortes in sich aufgesogen. Nie hatte er ein schöneres, lebendigeres, heiligeres Bauwerk errichten lassen, und so verlangte seine Seele immer wieder danach, in das Halbdunkel des Turmes einzutauchen, langsam den scheinbar endlosen Wendelgang hinaufzuschreiten, um dann in den Himmel hinauszutreten, seinen Himmel, um alle Gedanken von sich fließen zu lassen. Er stellte sich vor, wie diese, winzigen Funken gleich, über die Stadt sprühten und Einlass in die Herzen seiner Dänen fanden, um dort ein Licht zu entzünden.
Es war früh am Morgen, und die königliche Kutsche hatte nach einer kurzen Fahrt durch die Stadt mit einem Ruck vor dem Portal des Turmes gehalten.
„Komm“, flüsterte er und pustete Wiebke, die sich unterwegs schlaftrunken in seine Arme geschmiegt hatte, über die Augenlider. „Ich verspreche dir, du hast nie Schöneres gesehen.“
Er zog sie mit sich aus dem Wagen, strich ihr die Kapuze aus dem Gesicht und drehte ihren Kopf zu den Flammen der frühen Morgensonne. Das Licht, von Osten her über das Meer kommend, tastete sich über die Konturen ihres Gesichts, überzog es mit einer Schicht geschmolzenen Goldes und ließ es mädchenhaft leuchten.
Vor der Kulisse des ganz in roten Glanz getauchten Turms blickte Christian seine geliebte Wiebke an, und die Erinnerung an ihre erste Begegnung tauschte die Gegenwart für einen Moment gegen eine andere Zeit aus. Er sah die Waschbrücke vor sich, dieses seltsame holsteinische Mädchen, strahlend im Gegenlicht, ihre neugierigen Augen, die kalten, nackten Beine, ihren wissbegierigen Mund. Gerührt küsste er sie, und lachend öffnete Wiebke die Augen.
„Du hast mich hierher geführt, um mich zu küssen?“ Sie löste sich von ihm und drehte ihr Gesicht wieder zur Sonne. „Du hättest mich auch im Schlaf küssen können.“ Sie sah ihn an, und wieder berührte ihr Blick seinen Grund. „Aber das ist es wohl nicht.“ Wiebke reichte ihm die Hände, sie waren warm und samtig. Fest umschlangen ihre Finger seine Handflächen. „Komm, gehen wir hinauf. Dort oben ist der Himmel um uns.“
Christian nickte und folgte Wiebke in den Schatten des Turms. Gemeinsam traten sie durch die schwere Eichentür in sein Inneres und begannen den Aufstieg über den Wendelgang. Wieder erinnerte er sich an den wundervollen Moment, als sie die Idee zu seiner Gestalt geboren hatten. Wie viele Jahre war das her? Für einen Augenblick löste er seine Augen vom Boden und blickte zur Spitze des schneckenförmigen Wendelgangs hoch,
Weitere Kostenlose Bücher