Das Königsmal
Männern diesen einen zu finden.
Vor dem Lager empfing sie der Gestank der Latrinen wie eine undurchdringliche Wand. Krähen und einige vereinzelte Möwen suchten in der stinkenden Brühe nach Essbarem und stritten um jeden Brocken. Beinahe hätte sie würgen müssen. Sie atmete mehrmals tief durch, nahm all ihren Mut zusammen, watete durch das schlammige Feld und fragte sich mühsam durch, bis sie schließlich zum richtigen Zelt vorgedrungen war.
Vor den dreckigen Zeltbahnen, die nur wenig Schutz gegen Regen und Kälte boten, saßen mehrere Offiziere auf roh gezimmerten Holzbänken. Sie tranken Wein und spielten ohne Scheu vor aller Augen Karten. Süßsaurer Schweißgeruch hing in der Luft und ließ schon wieder Übelkeit in ihr hochsteigen.
Wiebke räusperte sich. „Finde ich hier den Rheingrafen Otto von Solms?“, fragte sie in die Runde, bemüht, ihre Stimme forsch klingen zu lassen.
Die Männer lachten.
„Oh, das Madamchen wünschen den Herrn Rheingrafen zu sprechen“, scherzte einer, dessen rechte Wange von einer hässlichen Narbe entstellt war. „Wie schafft er es nur, dass immer wieder hübsche Frauenzimmer nach ihm verlangen?“
„Halts Maul, Waldemar“, fiel ihm ein anderer barsch ins Wort.
Er hatte dunkles Haar, einen gepflegten Bart und gut geschnittene Gesichtszüge, ja, man konnte ihn wirklich als schön bezeichnen. Auch seine Uniform war in durchaus passablem Zustand. Im Gegensatz zu den anderen Gestalten hatte er die Achtung vor sich selbst offensichtlich noch nicht verloren. Überraschend blaue Augen blickten Wiebke unergründlich an.
„Was bringst du mir?“
„Einen Brief aus der Burg, Herr.“ Wiebke fasste in ihre Satteltasche und wollte das Schreiben herausziehen.
„Einen Moment, meine Schöne.“ Der Offizier sprang auf. „Wer bist du überhaupt, habe ich dich schon einmal gesehen?“
Er fasste Wiebke am Arm und schob sie in sein Zelt. Im Halbdunkel konnte sie ein Feldbett und einige Kisten erkennen. Felle bedeckten den Boden, und plötzlich musste Wiebke an Kirstens Schlafstatt denken. Sie glaubte, einen ihr bekannten Geruch wahrzunehmen, der auch nach gewissen Liebesnächten im Raum von Madame schwebte. War das etwa der geheimnisvolle Galan?
„Ich bin Wiebke Kruse, die Zofe der Gräfin. Vielleicht habt Ihr mich schon einmal in den Gemächern meiner Herrin gesehen?“, antwortete sie eine Spur selbstbewusster. Die plötzliche Ahnung seines Geheimnisses machte sie für einen Moment stark.
„Hoho, so hübsche Damen verstecken sich also hinter diesen hohen Mauern.“
Er überhörte ihre Anspielung auf seine nächtlichen Besuche einfach. Dann sprang er aus dem Zelt und kam mit der Satteltasche zurück.
„Öffne, damit ich lesen kann, was sie mir schreibt.“
Während Otto von Solms ein Licht entzündete und die wenigen Zeilen mit einem Lächeln überflog, musterte Wiebke den Offizier noch einmal. Seine edle Abstammung war unverkennbar, Körperhaltung und Gestik bezeugten sie zweifelsfrei. Und der Graf war jung, kaum älter als Kirsten Munk. Eine starke, selbstgefällige Aura umgab ihn, die wohl so manche Dame in die Knie zwang. Kein Wunder, dass sich ihre Herrin in seine Arme geworfen hatte. Selbst Wiebke verspürte ein unbestimmtes Kribbeln, das ihr den Rücken hinaufzog und sich zwischen den Schulterblättern einnistete. Unwillkürlich hatte sie das Verlangen, mit den Armen zu schlenkern, um die Spannung abzubauen.
„Was zappelst du so herum? Setz dich, damit ich in Ruhe eine Antwort schreiben kann“, forderte sie der Graf fast ein bisschen barsch auf. Dann lächelte er jedoch und deutete auf das Feldbett, und Wiebke ließ sich vorsichtig auf seinem Rand nieder. Sie war froh, ihren Umhang nicht abgelegt zu haben, da ihr die durchdringenden Blicke des Grafen mehr als unangenehm waren. Sie bemerkte, dass sie rot wurde, und ärgerte sich über ihre Schwäche.
Draußen hatten die Männer ihr Spiel fortgesetzt. Lautes Gejohle drang ins Zelt, doch Otto von Solms ließ sich nicht ablenken. Mit schnellen Federstrichen setzte er schwungvoll große Buchstaben auf ein Blatt Papier, das er aus einer der Kisten hervorgezogen hatte.
„Verehrte Freundin, Eure Nachricht betrübt mich, wisst Ihr doch, dass ich mich stets um Eure Gärten sorge. Schon bei meinem letzten Besuch wies ich Euch an, besonders dieser einen Blume mehr Sorgfalt angedeihen zu lassen. Ihr müsst die Knospe pflegen und sie liebkosen. Erinnert Euch an die kleinen, aber wirkungsvollen Handgriffe, die ich Euch
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