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Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
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Stadt hatten ein Vermögen verdient, und alle Verbitterung über erlittenes Unrecht war im Wein ertränkt worden. Obwohl der Kaiser noch vor einigen Jahren die Köpfe der hingerichteten Rebellen auf den Brückenturm an der Moldau hatte spießen lassen, tanzte das Volk jetzt in den Straßen und feierte das Haus Habsburg. Vom böhmischen Aufstand und dem kaiserlichen Blutgericht war nichts als die Knochen der vielen Toten und die Erinnerung an mehr als hunderttausend Vertriebene übrig geblieben.
    Die Gräfin sog die Erzählungen begierig in sich auf. Sie sprach nicht viel und antwortete nur knapp, wenn einer der Reisenden sie ansprach. Niemand ahnte, dass die Gemahlin des Königs zwischen ihnen saß. Auf der Flucht vor sich selbst. Doch ich sah, wie die Worte in ihr arbeiteten. Dass sie sich in ein anderes Leben wünschte, dass sie sich nach dem glänzenden Leben des Hofes sehnte. Und dass Hass auf den König in ihr gärte.
    Wir blieben vier Monate fort. Ende Mai brachte die Gräfin auf dem Gut ihrer Mutter eine Tochter zur Welt. Das Kind kam zu früh, eine schreckliche Sturzgeburt. Die Wehen setzten im Garten des Anwesens ein, und wir schafften es nicht mehr, ins Haus zu kommen. So öffnete Marie Katharina zwischen Rosenrabatten und blühendem Klee ihre Augen. Die wilden Schreie ihrer Mutter hatten das Gesinde in den Garten stürzen lassen, und Mägde und Knechte gafften unter die blutigen Röcke der Gräfin. Sie sahen ein merkwürdiges Wesen, das aus der Dunkelheit ins Sonnenlicht gestoßen wurde. Ein zartes Geschöpf, silbrig-blau schimmernd und mit einem fedrigen Flaum überzogen. Halb Mensch, halb Niegewesenes.
    „Ein himmlisches Balg“, flüsterte einer, erschrocken und doch seltsam berührt von dieser Laune Gottes. Die Umstehenden bekreuzigten sich. Das Kind war so schrecklich schön anzusehen, dass es alle gebannt anstarrten. Für einen Moment hielt die Welt still. Dann stieß das Kind einen zittrigen, schüchternen Schrei aus, und der Bann war gebrochen.
    Ich scheuchte die Männer und Frauen davon und nahm das Bündel Mensch auf den Arm. Die Gräfin wollte es nicht sehen, und so trug ich es unverzüglich zu seiner Amme, einer Bäuerin aus dem Dorf, die vor Kurzem ein kräftiges Mädchen geboren hatte.
    „Huh, was bringt Ihr mir da Hässliches“, murrte die Frau. Doch dann siegte das Mitleid über ihren Abscheu, und sie grummelte: „Wenn es trinken will, soll es bei mir bleiben. Die Dame bezahlt ja gut.“
    Ich legte das Kind in ihre Arme und sah es nie wieder. Wenige Tage nach der Geburt machten wir uns auf den Weg zurück nach Dalum. Kurz nach unserer Ankunft erreichte uns die Nachricht, das Mädchen sei gestorben.
    „So ist der Vogel also davongeflogen“, murmelte die Gräfin und sie klang nicht einmal erstaunt. Dann sprach niemand mehr von diesem beinahe unwirklich scheinenden Wesen. Ich aber schloss es in meine Gebete ein, so wie ich Wiebke darin eingeschlossen hatte. Die Trennung hatte meine Zärtlichkeit für sie noch wachsen lassen. Wir beide fielen uns in die Arme, als wir uns wiedersahen. Wir waren uns nicht fremd geworden, sondern hatten in Gedanken noch näher zueinander gefunden.

DER ADLER
Vorpommern und Dalum auf Fünen, September anno 1628
    König Christian lag in den Dünen und trank. Der Wein aus Ellen Marsvins Kellern, den sein Proviantmeister in wuchtigen Fässern auf einem Wagen mitgeführt hatte, war längst durch ihn hindurchgeflossen. Ein Rausch so mild und erfreulich, wie sich auch der Sommer entwickelt hatte. Der beste seit Kriegsbeginn. Jetzt musste es ein anderer Roter tun, weniger selig machend, beschlagnahmt in irgendeinem Ort auf seinem Zug entlang der Ostseeküste.
    Christian trank auf den Krieg. Er prostete den fernen Akteuren zu, schluckte jede Nachricht im Sturz hinunter und berauschte sich an den Geschehnissen, die sich ganz ohne sein Zutun entwickelten und doch für ihn arbeiteten. Er drückte sich in den Küstensand, den das Wasser in seinem kraftvollen Rhythmus zu Staub zermahlen hatte, und tauchte in seine Gedankenwelten ein. Ließ sich treiben und von seinen Gefühlen überrollen.
    Was für ein herrlicher Wirbel, dachte er, und die verführerische See leuchtete ihn an. Wie ein Weib, das mit seinen Röcken spielte, den Saum lüpfte, ihn lockte und doch gleichzeitig auf Abstand hielt. „Komm her, komm her“, schien sie zu flüstern. Doch wenn er sich nähern wollte, schlug ihm ihre Kälte entgegen und ließ ihn zurückzucken. So kehrte er wieder in die Runde der

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