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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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vielleicht in Ungnade bei ihm fallen, und ehe er sich versah, flog der goldene Vogel davon. Das durfte nicht passieren, nicht jetzt, wo er gesehen hatte, dass der Bursche kein Schwindler war.
    Die Männer sprachen noch eine Weile miteinander, diskutierten das Experiment und die Auswirkungen auf alle weiteren Versuche. Röber hörte ihnen nur beiläufig zu und wunderte sich nicht einmal darüber, dass der unbekannte Advocatus sich bestens mit der Materie auszukennen schien. Er formte in seinem Kopf Pläne, große Pläne, die ihn in den nächsten Tagen und Wochen nicht mehr loslassen würden.

    Der nächste Morgen war grau und verhieß Regen, doch das hielt Annalena nicht davon ab, in aller Frühe das Kontor zu verlassen. Seit dem gestrigen Vorfall war Röber ihr nicht wieder über den Weg gelaufen, dennoch hatte sie ein ungutes Gefühl. Irgendwas würde er sich ausdenken, um sich zu rächen.
    Noch vor ein paar Monaten hätte sie erneut daran gedacht wegzulaufen. Doch inzwischen hatte sich einiges geändert. Jahrelang hatte sie vor Mertens gekuscht. Sie hatte sich von ihm einschüchtern und schließlich von ihm in die Flucht schlagen lassen. Das wollte sie ab sofort nicht mehr tun. Hatte sie sich ihres Ehemanns erwehren können, würde ihr das auch bei Röber gelingen!
    Natürlich war es besser, ihm aus dem Weg zu gehen und ihn so wenig wie möglich zu reizen. Ich könnte Hildegard anbieten, noch mehr Arbeit zu übernehmen, ging es ihr durch den Sinn. Oder ich ziehe sie ins Vertrauen, wenn Röber mir nicht von der Pelle rückt. Außerdem gab es nun Johann und ihre Gefühle für ihn. Wer weiß, vielleicht heiratet er mich irgendwann. Vielleicht sieht er über meine Narben hinweg und verdeckt meine Herkunft mit dem Mantel der Ehrbarkeit …
    Also beschloss sie auszuhalten, so lange es eben möglich war.
    Sie schleppte zwei Wassereimer zum Brunnen, in der Hoffnung, dass dort so früh am Morgen noch kein großes Gedränge herrschte. Zu manchen Zeiten konnte man sich die Beine in den Bauch stehen, und das Letzte, was Annalena brauchen konnte, war einen Teil ihrer ohnehin schon knapp bemessenen Zeit zu verschwenden.
    Tatsächlich war noch niemand am Brunnen, nur ein Hund saß davor und versuchte, durch heftiges Kratzen die Flöhe aus seinem Fell zu bekommen. Annalena scheuchte ihn weg, griff nach dem Schöpfeimer und ließ ihn in den Brunnenschacht hinunter. Ein Klatschen ertönte, und als der Eimer vollständig untergegangen war, zog sie ihn wieder nach oben. Eine schweißtreibende Arbeit, aber Annalena biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich nur auf das Seil in ihren Händen.
    Sie hatte den Eimer schon fast oben, da rief jemand in ihrem Rücken: »Ihr seid die Magd vom Röber, stimmt’s?«
    Annalena schrak zusammen und das Seil entglitt ihr. Mit einem lauten Klatschen landete der Eimer wieder im Wasser, und nur die Tatsache, dass das obere Ende des Seils festgebunden war, verhinderte, dass es ihm in den Schacht folgte.
    Wütend wirbelte sie herum und sah in das Gesicht eines etwa zwölf Jahre alten Jungen, der keuchend zu ihr lief, als sei eine Meute Hunde hinter ihm her. Sein blonder Schopf war verwuschelt und das mit Sommersprossen übersäte Gesicht darunter war ihr vollkommen fremd.
    »Ja, die bin ich«, entgegnete Annalena, und obwohl sie dem Burschen für den Schrecken am liebsten an den Ohren gezogen hätte, hielt sie sich zurück.
    »Dann solltet Ihr schnell mitkommen!«, entgegnete er und wirbelte herum.
    »Warum? Was ist geschehen?«, fragte Annalena, aber da rannte er schon wieder los. Wenn sie erfahren wollte, was los war, musste sie ihm wohl oder übel folgen. Lange Zeit zu überlegen blieb ihr nicht. Annalena seufzte auf und raffte dann ihren Rock.
    Es war nicht einfach, an ihm dranzubleiben, denn der Junge bewegte sich so flink wie eine Eidechse. Er huschte durch enge Gassen, die Annalena vorher noch nie aufgefallen waren, obwohl sie das Viertel inzwischen recht gut kannte. So, wie die Menschen, an denen sie vorbeikamen, dreinschauten, mussten sie wohl glauben, dass sie einen Dieb verfolgte.
    Schließlich verringerte er sein Tempo, als er hörte, dass sich hinter ihnen Hufschlag näherte. Auch Annalena wurde langsamer. Sie lief in Hausnähe weiter und blieb dann ganz stehen, denn sie wollte sich von den Pferdehufen nicht niedertrampeln lassen.
    Wenig später preschten die Reiter an ihr vorbei. Es waren Männer der Stadtgarde. So, wie sie die Tiere trieben, musste etwas geschehen sein. Annalena

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