Das Kreuz der Kinder
letzten die
Stadt betraten, war von ›in aller Stille‹ nicht mehr die
Rede. Überall gellten Schreie, feurige Fackeln zündelten
durch die nächtlichen Gassen, die ersten Brände flammten
auf, Plündergut wurde fortgeschleppt – und überall lagen
bereits Erschlagene herum – bärtige alte Männer und
schwarzgelockte –.«
»Kinder!« stöhnte Irm. »Kleine Kinder, Buben und
Mädchen!«
Die Styrum brachte es fertig zu zittern beim Erinnern an
das grausige Geschehen. »Daß sie die Mütter – das könnte
ich ja noch verstehen, aber die Kinder!«
Jetzt hatte sie Tränen in den Augen!
»Euer Entsetzen hielt sich damals in Grenzen!« fuhr ihr
Daniel kalt in das Lamento, »›Armin‹ war schließlich
dabei –.«
»– Dabei, um Leben zu retten! Wäre er, ich nicht
gewesen…«
Irm heulte.
»Das stimmt!« sprang Rik ihr bei. »Irm holte mich,
gerade noch rechtzeitig, als Karl Ripke der schielenden
Schwester von Miriam schon die Kehle durch…«
»Das stimmt nicht!« schluchzte Irm. »Ihr blond
gebleichter Bräutigam schrie gellend um Hilfe.«
Sie heulte jetzt Rotz und Wasser.
»Dieses Bürschchen, hieß er nicht Jacov? Der hatte sich
vor Todesangst in die Hosen…«
Rik lag nichts daran, sich an jedes Detail zu erinnern.
»Ich schlug Ripke nieder.«
»Das war Oliver!« würgte die aufmerksame Irm heraus.
»Ihr kümmertet Euch um die bewußtlose Miriam eine
Haut wie Milch und Honig, doch das Antlitz weiß wie
Schnee!«
Irm schniefte und trocknete ihre Tränen.
»Jedenfalls haben wir die beiden lebend gerettet«, stellte
Rik ungehalten klar, »aus dieser Stadt im Blutrausch.«
Ihm lag daran, wieder Sachlichkeit herzustellen. »Das
Mädchen Miriam verstecktet Ihr, Irm, bei den Krüppeln
auf dem Wagen des Heilers – sie mußte sich dafür ihr
schönes langes Haar scheren lassen, und Randulf
schmierte ihr ›Krätze‹ auf die Kopfhaut –.«
Irm lachte wieder. »Den semmelblonden Jacov brachte
Oliver als seinen Vetter und waschechten Christen im
Heer der Kreuzfahrer unter!«
»Ohne, daß der Obrist es spitz bekam!«
Das erheiterte im nachhinein auch Daniel. »Nur waschen
durfte er sich nicht, der Beschnittene!«
»Er stank nicht mehr als alle anderen Männer auch!«
Irm liebte es, das letzte Wort zu haben.
Daniel strich eine neue Pergamentseite glatt.
aus der Niederschrift von Mahdia
Ripke die Ratte
Bericht des Daniel
Die tätliche Auflehnung Olivers gegen den ›Obristen‹ ist
nicht der einzige Grund, daß es nun nach Worms zur
Spaltung kommt. Viele der neu hinzugestoßenen Söhne
von Geblüt wollen sich nicht von der alten
Führungsmannschaft befehlen lassen, die Karl Ripke in
Köln um sich und Niklas geschart hat. Die Leibgardisten
der ersten Stunde stammen tatsächlich zum geringsten Teil
aus dem Adelsstand, bestenfalls sind sie Sprößlinge
heruntergekommener Raubritter, meist aber gewöhnliche
Strauchdiebe. Fast ausnahmslos haben die Noblen ihr
Mitwirken bei dem Handstreich auf Worms zugesagt,
aber, was sich dann tut, stößt sie ab. Einige schämen sich
sogar, nicht eingegriffen zu haben. So beginnen sie jetzt,
sich mehr und mehr von dem Haufen abzusetzen und
ziehen in einigem Abstand hinterher. Es geht aber auch
um die Elenden, die von Geschwüren befallenen
Gestalten, die um den ›Heiler‹ herum lungern. So weit
geht ihre christliche Nächstenliebe nicht, daß sie die um
sich haben wollen – im Fall von Erschöpfung oder
sonstiger Not vielleicht sogar auf ihren Armen
weitertragen sollen! Die jungen Herren Ritter ekeln sich
vor den Armen, auch wenn der eine oder andere schon von
diesem Franz von Assisi gehört hat, der irgendwo in
Italien sich sogar der Pflege von Leprösen verschrieben
und all sein Hab und Gut für sie hingegeben haben soll.
Sie haben nichts zu verschenken, im Gegenteil, sie
wünschen, etwas zu gewinnen, deshalb haben sie sich
diesem Niklas angeschlossen.
Auf der anderen Seite haben die Verunstalteten und mit
ihrem Gebrechen Lebenden mittlerweile auch an
Selbstachtung gewonnen, dafür sorgt vor allem Randulf,
der Einbeinige. Er hat nichts dagegen, den Weiterzug ohne
das arrogante Adelspack fortzusetzen, das ab und zu hoch
zu Roß vorbeiprescht und sie um die besten Stücke bringt,
die mitleidige Bürger und Bauern für die armen
›Kreuzfahrer‹ bereithalten.
Derart ist die Stimmung, daß beim Erreichen der
Bischofsstadt Basel ein weiteres Zusammengehen von
niemandem mehr gewünscht wird. Hier biegt der Rhein
scharf gen Osten
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