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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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eingesehen, daß es an ihm lag, mit einer
herzlichen Geste sein Verständnis für die Nöte des
Freundes zu beweisen. Er umarmte den Emir und sagte:
»Mit größter Freude werden wir alle heute abend an Eurer
Seite sein.«

aus der Niederschrift von Mahdia
Das Wunder von Marseille
Bericht des Alekos
    Die Taverne ›Zum Traurigen Schwertfisch‹ war weder der
schönste noch der beliebteste Ausschank im Hafen von
Marseille, denn sie lag genau dort, wo die Fischer und die
Marktweiber ihren Ausschuß hinwarfen. So war der Ort
stets von Möwen belagert, die den Gästen auf den Kopf
schissen – und außerdem stank es erbärmlich nach
verrottendem Abfall. Doch heute zog ein beizender
Geruch süßlicher Fäule von der Mole bis in den hintersten
Teil des Schankraums, Er stieg von den schmächtigen
Leibern auf, die wie tote Fische zwischen Saint-Jean und
dem gegenüberliegenden Fort auf den nackten Steinplatten
lagen, einer neben dem anderen aufgereiht. Es waren die
Leichen der ertrunkenen Kinder, die gestern bei der
stürmischen Ankunft im Hafen von den zügellos
Nachdrängenden ins brackige Wasser gedrückt, sich nicht
hatten retten können. Schwimmen konnten die wenigsten,
und viele gerieten derart in Panik, daß sie sich gegenseitig
unter Wasser zogen. Viele ertranken aber auch einfach aus
Erschöpfung. Doch das kümmerte höchstens Schwärme
von blau schillernden Fliegen, die sich trotz der
Mittagshitze eingefunden hatten.
    Stephan, der erlauchte Anführer der Haufen war
ungerührt unter dem Baldachin seines mit bunten Fähnlein
geschmückten Wägelchens vorbeigerollt, höchstens
ärgerlich, daß die Toten die besten Plätze am Kai belegten,
von wo aus er seine, ihm verhießene Teilung des Meeres
hätte wahrmachen können. So mußte er nach einem
anderen Ort Ausschau halten. Der Hirtenjunge aus dem
Wald von Forlat, der sich bescheiden als ›Minderer
Prophet‹ ausgab, war umgeben von seinem engeren
Gefolge, den ›Kleinen Aposteln‹, seiner berittenen
Leibwache, den ›Erzengeln‹, und seinem geistlichen
Berater, dem ›Vicarius Mariae‹ Luc de Comminges.
Durch die Fürsprache des jungen Domenikaners hatten sie
im schattigen Kreuzgang von Saint-Jean eine Bleibe
gefunden, Zuflucht vor der unruhigen Menge der über die
ganze Stadt verteilten Kinder. Denn es gärte in den
Haufen, zumindest für heute erwarteten sie das
versprochene Wunder – außerdem drang der unangenehme
Geruch der allen Träumen brutal widersprechenden
Wirklichkeit nicht in den stillen Klostergarten.
    Auf dem vor Hitze flimmernden Kai vor dem ›Traurigen
Schwertfisch‹ lastete bleiern das Wegsehen und die
gewohnte Untätigkeit der Behörden. Über der Taverne
lagen im Obergeschoß drei Zimmer, die an Seeleute
vermietet wurden – wenn denn welche kamen. Bis gestern
hatten sie leergestanden. Der griechische Patron traute
seinen Augen nicht, als eine Kutsche vorfuhr und ein
kleiner Mohr vom Bock sprang, um einer jungen Dame
den Schlag zu öffnen. Melusine de Cailhac bezog – ohne
die Räumlichkeiten vorher zu besichtigen – alle drei, der
Mohr zahlte im voraus. Die Begleitung der Dame – sie
bestand aus Étienne, Blanche und Pol de Morency mochte
das noble Angebot nicht annehmen. Étienne und seine
Blanche ließen sich einen Platz im Stall zuweisen, gleich
neben der Küche – und der Herr Pol weigerte sich
rundheraus, überhaupt Quartier zu nehmen. Er zöge es
vor, unter freiem Himmel zu schlafen. Lediglich am
nächsten Morgen wolle er nur noch einmal vorbeischauen,
um aus dem Munde des Fräuleins endgültig zu
vernehmen, daß sie sich entschlossen habe, diesem
verdammten Kreuzzug den Rücken zu kehren. Andernfalls
würde Melusine de Cailhac ihn, Pol de Morency, nicht
mehr wiedersehen. Nicht aufgetaucht war jedoch bis zur
Stund der Knabe aus dem Languedoc.
    Der Rückzug Stephans in den Klosterkreuzgang von
Saint-Jean hatte sich herumgesprochen. Immer mehr
Kinder drängte es, ihren Propheten zu sehen, sich
Zuversicht bei ihm zu holen. Die ›Erzengel‹ ließen nur die
›Kleinen Apostel‹ zu ihm durch, so hockten bald Hunderte
auf dem Vorplatz und warteten auf sein Erscheinen. Noch
hielten sie stille…
    Der ›Mindere Prophet‹ hielt derweilen im Schatten Hof
– sie hatten ihm einen Stuhl aus dem Kloster besorgt und
den Baldachin von seinem Wägelchen abgenommen, unter
dem thronte Stephan nicht besonders würdig, sondern saß
zusammengekauert, mit seinem Herrn Jesus hadernd,

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