Das Kreuz des Zitronenkraemers
leider gestehen, meistens allein. Manchmal auch mit Geschäftspartnern nach dem Golf. Aber schon lange nicht mehr in solch schöner Gesellschaft. Ich bin sehr erfreut, Sie zu sehen und bedanke mich, dass Sie es einrichten konnten.“ „Aber ich bitte Sie, ich fühle mich sehr geehrt“, winkte Anne ab. „Sagen Sie, haben Sie denn etwas mit den Papieren anfangen können?“ Anne wusste, dass sie jetzt unhöflich war, aber sie platze fast vor Neugier. Sie wollte unbedingt erfahren, was denn nun ihr Ambrosius vor fast 400 Jahren in den Kamin gesteckt hatte, damit sie es finden konnte.
„Aber ja!“ Der Notar zwinkerte ihr mit vor Stolz blitzenden Augen zu. „Aber Sie müssen sich erst noch ein wenig gedulden, vorher kommt der gemütliche Teil.“ Er sah sich um und schnippte dann einem Kellner mit dem Finger zu: „Bruno! Die Karte bitte!“
Nach einer von Dr. Mezza empfohlenen Entenbrust in Portweinsauce und einer Flasche Chardonnay konnte Anne sich kaum noch auf ihr Zimtparfait konzentrieren. Gleich war es soweit und der Notar würde die Tasche öffnen. Sie spinkste immer wieder heimlich unter den Tisch, wo ein dunkelbrauner Aktenkoffer an des Notars Füßen ruhte. Aber Dr. Mezza erzählte und erzählte. Er hörte gar nicht mehr auf, sein Leben vor Anne auszubreiten. Wie schwer doch manchmal das Alleinsein sei. Aber der viele Stress, die Kanzlei, die unzähligen Arbeitsstunden. Einmal hatte er es versucht. Mit einer Frau. Aber zu einer Hochzeit ist es nie gekommen. Ob Anne denn verheiratet sei? „Äh, nein“, hatte sie gestammelt, „fast hätte ich mal … “ Dr. Mezza schaute mitfühlend drein. „Sehen Sie, so erging es mir auch.“ Eine Minute des gemeinsamen Schweigens folgte. Anne konnte es fast nicht mehr aushalten. Bei ihrem ersten Treffen hatte sie einen ganz anderen Eindruck von ihrem Gegenüber. Pragmatisch und mit beiden Füßen auf dem Boden stehend. Aber vielleicht war auch der Wein schuld. Anne hatte bemerkt, dass bereits bei ihrem Eintreffen eine leere Flasche den Tisch geziert hatte. Und Wein machte nun mal bekanntlich sentimental und gesprächig. Trotzdem wollte sie nun endlich wissen, was es mit ihren Schriftstücken auf sich hatte. Zu diesem Zweck war sie ja nun schließlich hier.
Das Schweigen hielt an. In dem Moment, in dem Anne sich geräuschvoll räuspernd in Erinnerung bringen wollte, rief der Notar erneut nach Bruno und bestellte zwei Weinbrand und eine weitere Flasche Chardonnay.
Als Anne leicht angewidert in kleinen Schlucken an ihrem Cognacglas nippte, zog Dr. Mezza endlich die Tasche unter dem Tisch hervor. „So, dann wollen wir mal.“ In Zeitlupentempo öffnete er den Verschluss und zog einen grauen Ordner daraus hervor, den er Anne andächtig vor die Brust auf den Tisch legte. „Na, machen Sie schon“, forderte er Anne auf, die ihn zögerlich ansah. „Es war mir eine große Freude, diese Dokumente zu übersetzen, wirklich äußerst interessant, wie ich Ihnen ja bereits sagte. Los jetzt, schlagen Sie schon auf, ich erklär Ihnen, wenn Sie was nicht verstehen.“
Dr. Mezza fischte eine Hornbrille aus seiner Brusttasche und setzte diese umständlich auf die Nase. Sie verlieh seinem ohnehin stattlichen Aussehen etwas Oberlehrerhaftes.
Endlich schlug Anne den Ordner auf. Sie fand darin Computerausdrucke, die in Form und Satz dem entsprachen, was Anne von den Originaldokumenten in Erinnerung hatte. Nur diesmal konnte sie die Papiere lesen. Denn diesmal war die Schrift eindeutig Times New Roman.
„Hiermit ist bekundet
kraft meines Standes
im Monat Mai des Jahres 1687 in der Kurfürstenstadt Trier
durch mich
Gustavo Boltera, Notar
dass die aufgeführten Besitztümer
Eigentum sind von
Ambrosius Carove, Zitronenkrämer
im Jahre 1676 eingetragen in das Krämeramtsbuch
und Bürger von Trier“
Hiermit endete die erste Seite. Anne schlug aufgeregt die nächste auf. Jetzt mussten die Beschreibungen und Skizzen des „Schatzes“ folgen. Annes Hände zitterten.
„Soweit alles verstanden?“ Dr. Mezza beugte sich fast über sie, um mitzulesen. „Ja, ja“, flüsterte Anne, „bis jetzt alles klar.“
Bei der zweiten Seite war sie zunächst enttäuscht. Aber sie hätte es ahnen können. Natürlich fehlten die Skizzen. Die konnte der Notar ja nicht mit übersetzen. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, kramte Mezza erneut in seinem Koffer und überreichte Anne ihre Kopien der Originaldokumente. „Hier, sehen Sie die Skizzen dazu an, dann werden die folgenden
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