Das Labyrinth
es Spitzel. Die Sache ist sehr komplex. Eine Frau, eine ehemalige Geliebte aus Moskau, kommt nach München. Michael will wissen, warum ich sie sehe, wo doch jeder weiß, daß sie ein Spitzel ist. Aber das heißt nicht, daß ich sie nicht mehr liebe. Wir haben einen Mitarbeiter bei Radio Liberty, dessen Frau in einem Truppenstützpunkt arbeitete und amerikanischen Offizieren Russisch beibrachte, mit ihnen schlief und Informationen für den KGB einholte, damit sie anständig im Westen leben konnte. Sie hat zwei Jahre im Gefängnis gesessen. Aber das heißt nicht, daß ihr Mann sie nicht wieder bei sich aufnahm. Wir alle reden mit ihr. Was sonst sollten wir tun? Sie für tot erklären?
Viele von uns sind schon kompromittiert hier angekommen. Ein Maler, ein Freund von mir, wurde zum KGB bestellt, bevor er Moskau verließ. Man sagte ihm: >Wir haben Sie nie ins Lager gesteckt, also nichts für ungut. Wir erwarten nur von Ihnen, daß Sie uns bei der westlichen Presse nicht in ein schlechtes Licht setzen. Wir halten Sie für einen großartigen Künstler, und Sie wissen wahrscheinlich, wie schwer es im Westen für Sie werden wird. Wir geben Ihnen ein Darlehen. In Dollar. Wir reden mit niemandem darüber, und Sie brauchen keine Quittung zu unterschreiben. Nach ein paar Jahren zahlen Sie uns, wenn Sie können, den Betrag mit Zinsen oder ohne Zinsen zurück. Alles bleibt unter uns.< Fünf Jahre später schickte er ihnen einen Scheck und verlangt öffentlich eine Empfangsbestätigung. Und er brauchte lange, ehe er begriff, daß er damit kompromittiert und in seiner beruflichen Existenz vernichtet war. Wie viele solcher Darlehen gibt es sonst noch?
Und dann die, die schlicht verrückt werden. Da ist dieser Autor, der nach Paris ging. Ein berühmter Schriftsteller, der den Gulag überlebt hatte und unter dem Pseudonym Teitelbaum schrieb. Es kam heraus, daß er für den KGB Spitzeldienste geleistet hatte. Er setzte eine Verteidigungsschrift auf und behauptete, nein, nein, nicht er sei der Spitzel gewesen, sondern Teitelbaum! Und gelegentlich«, sagte Stas, »sind wir liquidiert worden. Ein Paket mit einem Sprengsatz, die vergiftete Spitze eines Regenschirms oder auch einfach nur zuviel Wodka. Dennoch - einst waren wir Helden.«
Laika streckte sich wie eine Sphinx auf dem Fußboden aus. Arkadi fühlte ihre Kraft. Auch wenn sich die Ohren des Tieres bei Geräuschen von draußen auf die Tür ausrichteten, blieb der Blick doch unverwandt auf ihn gerichtet. »Das brauchen Sie mir alles nicht zu erklären«, sagte er.
»Ich tue es, weil Sie anders sind. Sie sind kein Dissident. Sie haben Irina gerettet, aber das will jeder, das ist nicht notwendigerweise eine politische Tat.«
»Es waren mehr persönliche Gründe«, gab Arkadi zu.
»Sie sind geblieben. Die Menschen, die Irina kannten, wußten von Ihnen. Sie waren das Gespenst. Sie hat ein-, zweimal versucht. Sie zu erreichen.«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Was ich sagen will ist, daß wir Opfer gebracht haben, um für die richtige Sache zu kämpfen. Wer konnte ahnen, daß die Geschichte diesen Lauf nehmen würde? Daß die Rote Armee als eine Horde von Bettlern in Polen enden würde? Daß die Mauer fallen würde? Die Rote Armee als die große Gefahr? Jetzt ist man über 240 Millionen Russen beunruhigt, die bis zum Ärmelkanal vordringen könnten. Radio Liberty ist nicht mehr das Bollwerk, das es einmal war. Wir werden nicht mehr bekämpft, sondern haben sogar Korrespondenten in Moskau. Tag für Tag interviewen wir die Leute direkt im Kreml.«
»Ihr habt gewonnen«, sagte Arkadi.
Stas leerte den Rest der Flasche. Sein schmales Gesicht war blaß, die Augen zwei ausgebrannte Streichhölzer.
»Gewonnen? Wie kommt es dann, daß ich heute mehr denn je das Gefühl habe, ein Emigrant zu sein? Soll ich immer noch sagen, ich hätte mein Heimatland verlassen, weil ich dazu gezwungen wurde oder weil ich dachte, ich könnte ihm von außen mehr als von innen helfen? Heute klatschen die Demokraten in aller Welt Moskau Beifall. Und es war sicher nicht mein Verdienst, daß die Sowjetunion auf die Knie gefallen ist und ihren langen Hals ausstreckt. Es war die Geschichte. Die Schwerkraft. Die Schlacht fand nicht in München statt, sondern in Moskau. Die Geschichte hat uns ausgesetzt und ist ihren eigenen Weg gegangen. Wir sind keine Helden mehr, wir sind Narren. Die Amerikaner schauen uns an - nicht Michael und Gilmartin, die sind daran interessiert, ihre Jobs zu behalten und den Sender
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