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Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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mottenzerfressener Teppich in der Ecke hinter dem Schrank.
    In den Koffern bewahrte sie alte Popeline-Kleider, Strickjacken und das »gute« Kostüm auf. Den Teppich hatte sie vor rund dreißig Jahren als Prämie für gute Arbeit erhalten.
    Früher hatten alle Bewohner des Hauses hinter der steinernen Mauer, in dem allein das mit rosa Marmor gekachelte Bad im Erdgeschoss fünfzehntausend Dollar gekostet hatte, die Launen der alten Tante Polina mit Fassung getragen, sogar mit Humor. Aber inzwischen war von den Bewohnern des Hauses nur noch Marina bei der Tante geblieben. Und ihre Geduld ging allmählich zu Ende.
    Marina stocherte mit dem Schürhaken in den verglimmenden Kohlen. Dann griff sie wieder nach dem Telefon, um noch einmal im »Roten Mohn« anzurufen, wählte die vertraute Nummer aber nur zur Hälfte. Sie warf das Telefon in den Sessel neben sich, holte ihre Zigaretten heraus und begann zu rauchen.
    Vor anderthalb Stunden hatte sie bereits im Kasino angerufen und mit Kitajew gesprochen. Sie hatte ihm alles mögliche erzählt, Wahres und Ausgedachtes – nur einer einzigen Frage wegen, die sie erst ganz am Ende des Gesprächs gestellt hatte, wie zufällig: ob Waleri Wiktorowitsch beabsichtige, heute Abend nach Hause zu fahren?
    Kitajew räusperte sich und sagte, er wisse es nicht, sei nicht im Bilde. Das sagte er jedes Mal, wenn sie im Kasino anrief.
    Es war zum Verrücktwerden.

16
    Gleb Kitajew war kategorisch gegen all diese albernen Spielchen zum Swjatki-Fest. (Als »Swjatki« bezeichnet man die beiden Wochen von Heiligabend (6. Januar) bis zum Dreikönigsfest (19. Januar), eine Zeit, die mit vielen altrussischen, teils heidnischen Traditionen, Spielen und Ritualen verbunden ist.) Die gesamte Organisation des Feiertages, die Auswahl und das Engagement der Künstler und Musiker war ihm übertragen worden, dabei hatte er auch so schon genug Verpflichtungen. Seiner Meinung nach lenkte dieser unnütze Schnickschnack die Gäste nur vom eigentlichen Zweck ihres Besuchs ab. Und die Idee, im Restaurant ein »Betrunkene-Dame«-Turnier zu veranstalten, schmeckte entschieden nach einem billigen Rummelplatzvergnügen.
    Aber er konnte nichts machen. Shanna bestand darauf, dass im »Roten Mohn« Swjatki gefeiert wurde. Ihr konservatives Publikum, erklärte sie, liebe das nationale russische Kolorit. Shanna behielt bei ihren Disputen in Saljutows Büro stets die Oberhand. Und ständig hatte sie neue Ideen zur, wie sie sich ausdrückte, »Individualisierung des Geschäftsimages«. »Betrunkene Dame« als traditionelle russische Volksbelustigung zum Swjatki-Fest war ihr neuester Einfall.
    Kitajew stritt mit ihr, bis er heiser war, aber Shanna gab nicht nach. Saljutow hörte sich ihren Wortwechsel ungerührt wie immer an und erklärte dann, Shanna habe vermutlich Recht, und sie sollten ruhig ihren Rat, die Gäste zu unterhalten, zu befolgen.
    Shanna genoss das uneingeschränkte Vertrauen und den Respekt Saljutows. Aus Gerüchten, die im Kasino zirkulierten, wusste Kitajew, dass Saljutow und sein treuer Pit-Boss einst eng befreundet waren, sogar mehr als nur befreundet. Es hieß, ihr Verhältnis habe noch zu Lebzeiten von Saljutows Frau begonnen. Und nach ihrem Tod habe er die energische, attraktive Shanna beinahe geheiratet – nur die Rücksicht auf seine Söhne habe ihn davon abgehalten.
    Ja, alte Liebe rostet nicht. Und wenn ein Mann hoch in den Fünfzigern ist und eine Frau über vierzig, dann sind die Zerwürfnisse der Jugend längst bedeutungslos geworden.
    Gleb Kitajew hatte Shanna in diesen Tagen aufmerksam beobachtet. Schließlich musste er mit ihr noch über die seltsame Aussage des inzwischen entlassenen Portiers Peskow sprechen. Natürlich hätte dieses heikle Gespräch eigentlich Saljutow selbst führen sollen. Kitajew machte dem Chef gegenüber auch ein paarmal entsprechende Andeutungen, die Situation von Shanna Basmanjuk bedürfe in einigen Punkten der Klärung. Aber Saljutow reagierte auf seine Anspielungen nicht. In der Dienstbesprechung in Saljutows Büro stritten sie alle drei ausschließlich über die Gestaltung des Swjatki-Festes und ob zusätzliche Unterhaltungsangebote angebracht seien oder nicht.
    Kitajew nahm sich daraufhin vor, selbst mit Shanna über den Abend des fünften Januar zu sprechen, doch bis jetzt hatte er sich nicht dazu durchringen können. Irgendetwas an Shannas Benehmen hielt ihn von direkten Fragen ab. Es war etwas, was er früher nie an ihr bemerkt hatte. Deshalb beschloss der

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