Das Lächeln der toten Augen
Kreis zurückkehren, aber wir müssen hier in dieser Welt ausharren. Und ich werde uns führen, also pack mit an, sonst …«
Behrends trat einen Schritt zurück. »Ich … werde … werde dir nicht … nicht helfen«, stammelte er. »Du hast den Verstand verloren. Du wirst uns alle ruinieren. Wenn wir uns jetzt ruhig verhalten, werden die Ermittlungen bald auf Eis gelegt. Dann ist alles wieder im Lot. Wir sollen nichts riskieren, hat der Ehrwürdige entschieden.«
»Du jammernder und lamentierender Nichtsnutz«, polterte sein nächtlicher Besucher. »Dort, wo bei anderen das Herz sitzt, hast du eine Brieftasche. Du bist durch uns groß geworden, wir haben dich zu dem gemacht, was du heute bist. Nun ist der Tag, die Rechnung zu begleichen. Pack mit an!«
Behrends schüttelte den Kopf. »Ich werde dir bei deinen irrsinnigen Racheplänen nicht helfen«, schrie er. »Dir ist es gleichgültig, was aus unserer Bewegung wird, es geht dir nur um dich. Es war dein eigener Sohn, der alles verdorben hat. Er hat sich an dem Mädchen vergriffen.«
Der Großgewachsene nahm die Pistole aus der Jackentasche. »Ich habe alles aufgegeben in diesem Leben. Ich habe die Meinigen auf den Weg des roten Martyriums geschickt, um ihre Seele und uns zu retten. Ich habe mein ganzes Leben für unsere Bewegung auf dem Opfertisch dargebracht und nun sagst du zu mir, dass ich nur an mich denke.«
Behrends’ ängstliche Augen folgten dem Lauf der Waffe. Mündungsfeuer flammte auf. Ein dumpfer Knall zerriss die Stille. Behrends riss die Augen auf und fasste sich an die Brust, seufzte auf und sank zu Boden.
Eine Viertelstunde später hob die Cessna von dem kleinen Flugfeld am Rande des Wiesmoors ab und verschwand in der tief hängenden Wolkendecke. Behrends’ Blut sickerte in die feuchte Wiese.
*
Er kam zu sich, als draußen der Morgen graute. Sein Kopf schmerzte, als ob tausend Hummeln darin umherflogen. Sein Mund war ausgetrocknet. Nikolas Ricken fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Als er die verkrustete Wunde an seiner Schläfe berührte, schrie er auf vor Schmerzen. Er schlug seine Augen auf. Jede Bewegung verursachte neue Schmerzen. Er blickte sich um. Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Er lag auf einem weichen Teppichboden. Sein Blick erfasste den kleinen Schreibtisch aus Fichtenholz, den rot-braun karierten Schreibtischstuhl, die silberne Stereoanlage, und blieb auf dem zerwühlten Bett in der anderen Ecke des Raumes haften. Was war eigentlich passiert?
Er hatte mit Paula auf dem Bett gelegen. Sie hatten sich geküsst. Dann war er zur Toilette gegangen. Als er zurückgekommen war, stand ein großer, hagerer und dunkel gekleideter Mann mitten im Raum. Er wusste noch, dass er ihn angesprochen hatte, und der Mann herumwirbelte. An mehr erinnerte er sich nicht.
Wo war Paula? War ein Einbrecher in das Haus eingedrungen?
Mühsam richtete er sich auf. Sein Blick fiel ins Leere. Die Übelkeit wurde übermächtig. Er ließ sich zurücksinken. Sein Atem ging stoßweise. Er wartete ein paar Sekunden, bevor er einen neuen Versuch unternahm, auf die Beine zu kommen. Diesmal schaffte er es bis auf die Knie, doch als er sich erheben wollte, knickten seine Beine ein wie Gummi. Er robbte zum Bett hinüber und benutzte die Seitenteile als Stütze. Seine Wunde pochte, es hämmerte in seinem Kopf. Mit letzter Kraft kam er auf die Beine. Er verharrte abgestützt am Bettpfosten und atmete tief ein.
Wo war Paula, was hatte der Kerl nur mit ihr gemacht?
Ihm fiel ein, dass das Telefon unten im Flur auf dem kleinen Telefontisch stand. Er musste die Polizei rufen. Langsam schleppte er sich zur Tür. Er war noch immer benommen und seine Beine gaben nach. An den hölzernen Türpfosten fing er sich auf, setzte seinen Weg fort und tastete sich an der Wand entlang zur Treppe. Als er hinunter sah, wurde ihm schwarz vor den Augen. Alles um ihn herum schien sich zu drehen, doch er kämpfte dagegen an. Er schob mit aller Macht den Schmerz beiseite und setzte sich auf die Treppe. Es war besser, dachte er, wenn er dieses Hindernis im Sitzen nahm. Also arbeitete er sich voran. Stufe um Stufe. Nur noch wenige Schritte trennten ihn vom Telefon. Der Schweiß lief ihm über die Stirn, und die letzten Reste an Energie wollten ihn verlassen, doch er kämpfte gegen die aufkeimende Ohnmacht an. Er kämpfte für Paula. Endlich hielt er das Telefon in der Hand. Mit zitternden Fingern wählte er die Notrufnummer.
Als er das Gespräch beendet hatte, wusste er nicht
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