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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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zwar nicht viel schneller vorwärts als zu Fuß, aber dafür erheblich trockener.
    Die größte Überraschung jedoch erwartete sie bei Einbruch der Nacht, wenn sie abwechselnd Wache standen oder sich unter Deck zusammenrollten. Vielleicht wusste der Alptraum nicht, was er von einem Dampfschiff halten sollte, vielleicht sorgte das robuste Schiff einfach dafür, dass sie sich sicher fühlten. Jedenfalls berührte der Alptraum sie kaum. Während sie durch das Sumpfdelta steuerten, hatte Lily sogar ein- oder zweimal einen Traum, der nicht von dunklen Kämpfen und jähem, unruhigem Aufschrecken erfüllt war.
    Gelegentlich versuchte er, tagsüber nach ihr zu greifen. Dann säte er Zweifel in ihr, ob es richtig war, nach Agora zurückzukehren, und schürte ihre Ängste vor den Gefahren, denen sie dabei ins Auge blicken würde. Doch sein Ruf war schwach, und Lily begriff auch, warum das so war. Bei den letzten beiden Gelegenheiten war sie allein hier gewesen beziehungsweise mit Wulfric, der noch abwesender und angespannter gewesen war als sonst. Dieses Mal hingegen war sie mit Laud hier, und die Sommersonne schien. Von Deck aus betrachtet sahen die Sümpfe faszinierend, ja geradezu wunderschön aus. Und sie war auf dem Weg nach Hause, zurück zu ihren Freunden, ihrer wirklichen Familie. Leider herrschte dort kein Frieden, aber wenigstens wusste sie im Moment, was sie wollte, und war sich so sicher wie schon seit Jahren nicht mehr. Gegen eine solche Sicherheit konnte der Alptraum nicht angehen.
    Nach zehn Tagen ließen sie das Sumpfland hinter sich und gelangten in den Fluss Ora. Nun reisten sie überwiegend bei Nacht und schliefen während des Tages. Lily wusste, dass sich einige wenige Dörfer in Giseth in der Nähe des Ufers befanden, und sie wollten nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Tagsüber würde man der Rauchfahne, die ihr Näherkommen ankündigte, nachgehen, nachts hingegen würde das Zischen und Tuckern des Schiffes als Ausgeburt des Alptraums wahrgenommen und bestimmt ignoriert werden.
    Bis zum sechzehnten Tag fuhren sie gut damit.
    Als Lily am frühen Abend erwachte, überprüfte Laud auf Deck gerade, ob das Schiff fest verankert war. Hinter ihm lagen eine Axt und zwei Weidenkörbe.
    »Stimmt etwas nicht?«, wollte sie wissen.
    »Halb so schlimm«, erwiderte Laud. »Uns gehen allmählich Proviant und Brennmaterial aus.«
    Lily nickte. »Honorius ist wahrscheinlich davon ausgegangen, dass wir schneller vorankommen«, sinnierte sie, während sie auf die knorrigen Bäume des Waldes nicht weit vom Ufer entfernt schaute.
    »Um das Brennmaterial kümmere ich mich«, sagte Laud, während er die Axt schulterte. »Meinst du, du kannst noch etwas Essbares auftreiben?«
    Lily grinste und hob einen der Körbe auf. »Was denn, und mir dabei entgehen lassen, wie du Holz hackst?«, sagte sie schelmisch.
    Laud zog die Brauen hoch. »Ich dachte, du bist gegen Sklavenarbeit.«
    »Ich mache eine Ausnahme, nur für dich«, neckte sie ihn, während sie von Bord kletterte und auf das Ufer trat. Wieder ernst geworden blickte sie dann zu ihm hoch. »Geh nicht zu weit hinein, der Alptraum kann ganz schön stark werden.«
    Laud sprang neben ihr auf die Uferböschung. »Glaub mir, ich konzentriere mich ganz auf meine Aufgabe«, sagte er und hielt die Axt hoch. »Was könnte spannender sein, als Bäume zu fällen?«
    Lily grinste und wollte schon eine Reihe von Alternativen vorschlagen, als sie beide anfingen zu lachen. Bei ihrer Verabschiedung war Lily so guter Laune, dass sie die Kälte des Alptraums kaum spürte, während sie sich zwischen den Bäumen hindurchbewegte.
    Während sie auf der Suche nach Essbarem im Halbschatten umherzog, musste sie unwillkürlich an das letzte Mal denken, als sie diese Wälder nach etwas zu essen durchsucht hatte. Damals war der Boden überfroren gewesen, und sie war lediglich mit einer Handvoll Pilze zurückgekehrt. Doch zu dieser Jahreszeit, so kurz vor der Ernte, musste es wilde Obstbäume geben, die man plündern konnte. Sie wünschte, sie könnte sich den bepflanzten Feldern eines der Dörfer nähern. Doch selbst wenn sie auf eines stieß, wollte sie sich nicht den Fragen aussetzen, die dann aufkommen würden. Gut möglich, dass sie als einfache Reisende aus einem nahe gelegenen Dorf durchgehen konnte, doch sie wusste, dass jeder, der aus dem Wald kam, misstrauisch behandelt wurde.
    Wie sich herausstellte, war es nicht so einfach, wie sie erwartet hatte. Erst später am Abend stieß sie auf

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