Das Land jenseits des Waldes, Band I
stellen. Und darin wurde neben vielen anderen Dingen eben auch nach der Kleidergröße für den offiziellen Pullover gefragt. Denn ein jeder dieser edlen dunkelblauen Pullover für die Mulder hier oben im Schloss war eine handgenähte Einzelanfertigung, die etwa drei Monate vorher extra in Auftrag gegeben werden musste und die nur einmal im Jahr, im späten Herbst, bevor die aktuelle Herzogin von Lohstein dann die regulären Neuzugänge in einer schlichten Feierstunde ohne großes Zeremoniell begrüßte, ausgeliefert wurden.
Die eigentliche Taufe hingegen, bei der alle Neuankömmlinge von Gutshof und Schloss an ihrem ersten Tag in Lohenmuld zum jeweiligen Schuljahresanfang im Spätsommer in die Schloh sprangen und dabei komplett untertauchten oder untergetaucht wurden, hatte hingegen nur eine rein symbolische Bedeutung im Rahmen eines lockeren Willkommensfestes zum besseren gegenseitigen Kennenlernen.
Bis zur Überreichung des offiziellen blauen Schulpullovers durch die Herzogin von Lohstein am Ende der Probezeit blieb man daher lediglich ein Mulder auf Bewährung. Ausnahmen hiervon wurden nur ganz selten gemacht, diese bestätigten aber eher die Regel als ihr zu widersprechen.
Neugierig öffnete Knars noch mal den linken Kleiderschrank an der Wand mit Tischis restlichen Sachen. Er nahm einen leichten Pullover heraus und blickte auf’s Etikett. Amerikanische Maßeinheiten. Sehr grobmaschig. Passte mehr oder weniger jedem in ihrem Alter hier, der halbwegs normal gewachsen war. Irgendwie. Dann nahm er ein zusammengelegtes Hemd heraus. Exakt seine Größe in den Maßen für Hals, Schulter und Armlänge. Genauso wie die leichte atmungsaktive Jacke, die neben dem Pullover auf die Kleiderstange gehängt war.
Jan grinste, als Knars zurück zu seinem jetzt endlich frei geräumten Bett ging und sich nun auch darauf ausstrecken konnte.
Sollte er sich ruhig darüber amüsieren, dass ihm die Insidercodes hier in Lohenmuld noch nicht so richtig geläufig waren, dachte sich Knars. Wie hätte es an seinem ersten Tag hier denn auch anders sein sollen? Welcher Wahrheitsrabatt bei all den Anspielungen, Gerüchten und Geschichten zu berücksichtigen war, würde sich ihm dabei wohl erst noch in den kommenden Wochen oder auch Monaten erschließen. Sofern dies bei ihm als Quereinsteiger, der nicht vorher unten auf dem Gutshof gewesen war, überhaupt noch möglich war. Aber irgendein wahrer Kern schien dem Ganzen meist schon inne zu wohnen.
»Ja was meinst denn du?« sagte Jan und atmete tief durch, da sein Körper bereits schon wieder die nächste Zigarette einforderte. »Woher sollte unsere liebe Frau Professor Wechselberger denn auch sonst so kurzfristig einen neuen Schulpullover herbekommen? Und noch dazu in den genau passenden Maßen? Ein Ding der Unmöglichkeit. Alter!«
Knars blickte kurz hoch zur Decke und antwortete nichts mehr auf die Feststellungen seines Zimmerkameraden. Er wollte diese auch gar nicht einer eigenen Bewertung unterziehen. Ganz offenbar war dies eben halt Jans Art, den plötzlichen Weggang von Tischi zu verarbeiten. Er tat dies auf seine ganz eigne, etwas subtilere Art, und es war ja auch ganz gewiss nicht irgendwie bösartig gegenüber Knars als Tischis direktem Nachfolger motiviert, sondern vielmehr so eine Art kleiner versteckter Seitenhieb, eine dezente Stichelei unter die Gürtellinie.
Knars öffnete ein paar Knöpfe von seinem Hemd und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Jans Bett stand mit seiner längeren Seite unmittelbar an der Wand zum erst vor wenigen Jahren neu eingebauten Badezimmer und damit parallel zu den beiden Fenstern, während das Kopfende seines eigenen Betts direkt am Fenster im vorderen Bereichs ihres Zimmers stand. Im Liegen blickte er so auf die große Schrankwand, die den Bereich mit den älteren Waschbecken elegant vom Zimmer abtrennte. Zwischen der Rückseite der Schrankwand und dem Fußende von Knars’ Bett befand sich in der Wand eingelassen ein riesiger offener Kamin, der jedoch, schon seit vor vielen Jahrzehnten eine zentrale Fußbodenheizung installiert worden war, nicht mehr benutzt wurde und daher mit einer festen Plexiglasplatte versiegelt war. Im Bereich zwischen Jans Bett und den Fenstern standen dann unmittelbar am Fenster zwei Schreibtische mit schlichen Kunststoffstühlen und neben jedem Bett ein kleiner Nachttisch mit Lampe und Schubladen.
Vorher beim Pissen hatte Knars auch das neu eingebaute Badezimmer in Augenschein genommen. Es hatte eine
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