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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Sprichwort später nicht mehr exakt erinnere, kann Mama es übersetzen: »Lieber mit den Füßen ausrutschen als mit der Zunge«.
Der Angelhaken in Papas Kopf
    Für dieses blöde Aufsatzthema, das uns der Sitzriese gegeben hat, kommt mir auf dem ganzen Heimweg kein geeigneter Anfang in den Sinn. Trix, der Besten im Deutsch, fällt nach einem guten ersten Satz gleich der ganze Aufsatz ein, »der Rest ergibt sich von alleine«, sagt sie.
    Zuhause empfängt mich ein komisches Bild: Papa sitzt in seinen Fischerstiefeln auf dem Mäuerchen bei der Einfahrt, neben ihm, am Boden, liegt die Fischrute, seine Hand hält er am Hinterkopf, er blickt mir mit einem seltsamen Ausdruck entgegen …
    »Ist etwas passiert?«
    »Der Fischerhaken … Da schau.«
    Er bückt den Kopf. Aus seinem Haar ragt ein Stück Fischleine. Mama, sagt er, telefoniere drinnen mit dem Arzt.
    »Bist du so heimgefahren?«
    »Wie sonst? Mit dem Haken im Schädel und der Fischrute auf dem Nebensitz.« Papa lacht missmutig. Mama hilft ihm ins Auto, obwohl er das gut alleine könnte.
    Als sie wieder zurückkommen, hat Papa auf dem Hinterkopf ein Rondell, das glatt rasiert und mit einem Pflaster versehen ist. Beim Café complet trinkt er statt Milchkaffee Cognac aus dem neuen Schwenker mit dem eingravierten Pferdekopf.
    »Heidi hätte wohl besser einen Fisch eingeritzt«, witzelt Mama. Sie hebt ihre Kaffeetasse: »Petri Heil, auf deinen nächsten Fang!«
    Lebhaft erzählt uns Papa den genauen Hergang: »Ich, der ich mich mit meinem göttlichen Schwung geradezu als Vanor wähne, werfe also meine Fischrute dermaßen kraftvoll aus, dass sich der neidische Wassergott aus dem Fluss erhebt und mir die Angel höhnisch in meinen Grind schießt …«
    Wir lachen unseren Helden aus, er lacht mit uns, wir sind alle glücklich.
    Papa drückt das lange Kilobrot an seine Brust, belustigt schneidet er sich in Bauernmanier eine dicke Brotschnitte ab. »Weiß jemand etwas zum Thema Sommerbeginn?«
    »Wie kommst du jetzt da drauf?« In Mamas Frage schwingt Ungeduld mit. Es ist ja auch schade, unsere heitere Stimmung zu stören, aber ich muss darüber drei Seiten schreiben.
    »
Einundzwanzigster Juni, Sommerbeginn
– so heißt unser Aufsatzthema.«
    »Es ist doch erst Mai?«
    Papa stört Mamas Einwand nicht. Er nimmt das letzte Schlückchen aus dem Glas, genießt es sichtlich und schaut mich an. »Willst du etwas schreiben, das die anderen ganz sicher nicht schreiben? Ja? So schreibe, dass der einundzwanzigste Juni der Winterbeginn ist.«
    Mama hält ihre Hand auf Papas Arm. »Schpazzji, mit deinen übertriebenen Ideen hilfst du ihr wirklich nicht weiter.«
    »Wie meinst du das, Papa?«
    Er greift zur Cognacflasche. Mama ist allerdings schneller und nimmt ihm die Flasche sanft aus der Hand, »denk an dein Herz!« Sie kräuselt die Lippen zu einem Kuss.
    »Wie ich das meine? So wie es ist. Am einundzwanzigsten Juni erreicht die Sonne den Gipfelpunkt ihrer Jahresbahn. Von da an nimmt ihre Höhe wieder ab, womit also die Tage wieder kürzer und die Nächte wieder länger werden. Kurz gesagt: Der Sommeranfang ist der Winterbeginn.«
    Koni lacht – und ich habe meinen ersten Satz!
Eine Blamage nach der anderen
    Ausgerechnet heute muss Kläri bei uns essen! Diese Woche porträtiert Herr Ferrazzi nämlich unsere Mama, dann kommt sie immer in ihrem langen bordeauxroten Seidenkleid an den Tisch. Kläri tut denn auch den Mund nicht mehr zu, als Mama und Herr Ferrazzi aus dem Salon treten. Sofort versuche ich, ihr alles zu erklären. Aber Herr Ferrazzi hat meine Freundin schon am Arm genommen und hinüber zur Staffelei geführt. Da sie nichts sagt, frage ich, ob sie auf dem Bild meine Mama denn nicht erkenne.
    »Doch, doch.«
    Beim Essen unterhalten sich die Erwachsenen zunächst ohne uns. Papa schwärmt vom Reiten und findet in Herrn Ferrazzi einen Pferdefreund. »Reiten bringt mir mehr als die Fischerei, ich muss mich bewegen können …«
    Herr Ferrazzi hat früher ein eigenes Pferd gehabt, »Amedeo, un bel nome, eh«? Näheres ist ihm nicht zu entlocken. Mama fragt Kläri, ob sie den Käsekuchen nicht möge, »dü ässisch ja nur wienes Vogelti.« Papa will wissen, ob die Drogerie ihres Vaters gut laufe. Ich glaube, sie könnten Kläri alles fragen, sie nickt immerzu. Zwischendurch starrt sie unseren Gast an.
    Wie Elvira den Kaffee serviert, zupft mich meine Freundin am Ärmel, aufgeregt zeigt sie auf ihre Armbanduhr.
    Obwohl wir die Abkürzung durch den Birchiwald nehmen und laufen,

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