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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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Clarice für eine Vorlesung ein. Das konnte sie nicht mehr selbst tun.
    Ich hätte nicht erwartet, dass die Nachricht von Vals Tod mich erschüttern würde. Da sie schon so lange keine Rolle mehr in meinem Leben gespielt hatte, war ich davon ausgegangen, dass mich ihr endgültiges Verschwinden von diesem Planeten nicht sonderlich berühren würde. Natürlich würde ich an ihrer Bestattung teilnehmen – und ich war froh, dass ich mich nicht darum kümmern musste –, aber Val war für mich weniger ein Elternteil gewesen als eine entfernte und ziemlich nervige Bekannte. Obwohl wir uns nie wirklich nahestanden, hatten wir gelegentlich telefoniert. Doch besucht hatte ich sie nur selten.
    Als ich Val das letzte Mal gesehen hatte, war sie mir unverändert erschienen. Ein bisschen verträumt und geistesabwesend, wie immer mit ihrer Malerei beschäftigt. Als ich ihr von unseren Ziegen berichtete, ging sie nicht darauf ein, sondern erzählte mir von einem Kurs in Raku-Töpferei, den sie besuchte, und von einer geplanten Reise nach Quebec mit David.
    Und nun war sie plötzlich tot, und als ich das erfuhr, geschah etwas völlig Unerwartetes: Eine schreckliche, heftige Trauer erfasste mich, weil ich an die Dinge denken musste, über die wir nie ausführlich gesprochen hatten. Meine Beziehung mit Clarice zum Beispiel.
    Dabei hätte Val bestimmt kein Problem damit gehabt. Die Vorstellung von zwei Frauen, die sich liebten, hätte sie gewiss nicht schockiert; vermutlich hätte sie meine unkonventionelle Partnerwahl gut gefunden. Es war wohl eher so, dass ihr mein Mangel an künstlerischen Ambitionen und Kreativität immer missfallen hatte.
    Tatsächlich war ich keine Künstlerin. Aber konventionell war ich nie, das hätte Clarice jederzeit bezeugen können. Das traf eher auf die fünf Töchter der Plank-Familie zu – zumindest auf die ältesten vier –, die zu meinem Erstaunen alle zur Trauerfeier in Vals Yogastudio erschienen.
    Ich hatte Clarice von diesem »Geburtstagsschwester-Ritual« und den sonderbaren Besuchen erzählt, an denen Connie so viele Jahre festgehalten hatte. Und nun waren die Planks wieder in meinem Leben präsent, als wollten sie eine Verbundenheit demonstrieren, deren Anlass ich schon damals nicht verstanden hatte.
    Die vier Frauen wirkten jedenfalls ausgesprochen spießig. Sie trugen nahezu identische dunkelblaue Kostüme und Perlenketten und hatten kurze, praktische Föhnfrisuren. Und als sie da im Yogastudio nebeneinandersaßen, fiel mir auch auf, dass sie alle eine ähnliche Figur hatten – sie waren klein und plump und hatten erstaunlich kräftige Waden für Frauen, die mit Sicherheit nicht ins Fitnessstudio gingen.
    Wenn ich an ihrem Verkaufsstand haltgemacht hatte, war ich meist nur Edwin und Connie und gelegentlich Ruth begegnet; die Schwestern hatte ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen. Zwischen Vals Yogaschülern und Künstlerfreunden, in einem Raum, in dem tibetische Gebetsfahnen von der Decke hingen und Indianermusik gespielt wurde, wirkten diese vier Frauen vollkommen fehl am Platz.
    Ich trug eine Stoffhose, eine Bluse und einen Blazer. Die Plank-Schwestern wirkten dagegen wie aus einem Bestellkatalog für artige Ehefrauen. Doch wenn man von den Äußerlichkeiten – Make-up, Kleidung, Schmuck, Eheringe – absah, war es kaum zu übersehen: Die vier Schwestern und ich sahen uns auffallend ähnlich.
    Das bemerkte nicht nur ich. Als Clarice hereinkam und die Plank-Schwestern sah, nahm sie an, sie seien Verwandte, von denen ich ihr aus unerfindlichen Gründen nie erzählt hatte.
    »Das sind die Plank-Töchter«, sagte ich zu ihr. Nur die Tochter fehlte, der ich nicht im Mindesten ähnlich sah: Ruth.
    Val hatte im Lauf der Jahre eine lange Liste von Songs erstellt, die irgendwann bei ihrer Bestattung gespielt werden sollten. Sie war erstaunlicherweise so umsichtig gewesen, diese Liste ihrem Mann zu geben, und nun fand ein Musikprogramm statt, das eine ganze Stunde in Anspruch nahm.
    Nach der Flötenmusik hörten wir Cinnamon Girl von Neil Young, Brown Eyed Girl von Van Morrison (meine Mutter hatte zwar blaue Augen gehabt, aber ich fand, dass der Text zu ihr passte) und Songs von Paul McCartney, Cat Stevens und Jackson Browne. Die meisten dieser romantischen oder sentimentalen Songs handelten von Frauen, mit denen Val sich offenbar identifiziert hatte. Es waren allerdings auch Stücke darunter, die ich erstaunlich fand: I’d Rather Go Blind von Etta James, I Feel Good von James Brown und

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