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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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einiges von Enya.
    Die vier Plank-Schwestern saßen hinter mir, aber ich spürte, dass ihre Blicke auf mir ruhten. Ich drehte mich immer mal wieder um und tat so, als hielte ich nach jemandem Ausschau. Und jedes Mal starrte mich mindestens eine der vier verstört an.
    Für die Schwestern gab es nicht nur den Schock zu verarbeiten, dass Clarice den Arm um meine Schultern gelegt hatte. Sondern zweifellos auch die Tatsache, dass mein gedrungener Körperbau und mein rundes Gesicht ihnen verblüffend vertraut vorkamen.
    Als wir noch kleine Mädchen waren, wirkten wir mehr oder minder austauschbar und unterschieden uns lediglich durch unser Alter. Auch Ruth war damals noch nicht zu ihrer dramatischen Größe herangewachsen, die ihr den Spitznamen »Bohnenstange« eingetragen hatte. Erst im weiteren Verlauf unseres Lebens hatte sich diese unübersehbare Ähnlichkeit ausgeprägt.
    Während wir Vals langes Musikprogramm anhörten, zogen vor meinem inneren Auge all jene Szenen vorüber, in denen die Planks über so viele Jahre immer wieder in meinem Leben erschienen waren.
    Ich dachte an Edwin, der sich bei diesen Frühjahrsbesuchen im Hintergrund gehalten hatte, als sei er eigentlich nur der Chauffeur. Dennoch hatte ich ihn gemocht. Der hochgewachsene Mann war immer in die Hocke gegangen, um mit mir zu reden. Und er hatte mit mir gesprochen, als sei ich eine Erwachsene.
    Er war wohl auch der Erste, dem mein Interesse an Pflanzen auffiel. Einmal hatte er sich nach der Süßkartoffelpflanze erkundigt, die ich auf dem Fensterbrett gezogen hatte. Ein anderes Mal hatte er einen Rosenstock begutachtet, mit dem meine Mutter nicht zurechtkam. Edwin hatte gesagt, ihm fehle Stickstoff, und er hatte auch noch die Ausläufer abgezwackt. Ich erinnerte mich auch wieder daran, dass Edwin mir erklärt hatte, was ich für meine Sonnenblume tun konnte, die ich angepflanzt hatte. Und natürlich war er es gewesen, der mir später erklärt hatte, wie man ein Erdbeerfeld nach der Ernte bearbeitet, und der mir seine kostbaren, jahrelang liebevoll gezüchteten Tochterpflanzen anvertraut hatte.
    Und dann wurde mir klar, dass bei all diesen Szenen – ob Ruth und ich mit meinen Barbies spielten, ob ich bei den Planks Erdbeeren kaufte oder mich mit Edwin über Mais unterhielt – eine Figur im Schatten gestanden und mich nicht aus den Augen gelassen hatte. Der einzige andere Mensch außer Clarice, der mich jemals mit so viel Liebe und Zärtlichkeit betrachtet hatte. Connie Plank.
    Am Tag von Vals Beerdigung wurde mir die Wahrheit bewusst: Nicht Val Dickerson war meine leibliche Mutter – sondern Connie Plank.
    Connie, die sich förmlich auf mich gestürzt hatte, sobald sie mich sah. Die mich fast erdrückt hatte, wenn sie mich umarmte. Sie hatte meine Zeugnisse sehen wollen und sich nach meiner religiösen Erziehung erkundigt. Hatte Val in so vielen Briefen beschworen, mich taufen zu lassen, dass Val schließlich behauptete, die Taufe habe stattgefunden – was nicht stimmte. Connie hatte auch immer nur Geschenke für mich mitgebracht, nicht für Ray: eine Kinderbibel, ein kleines Taschenbuch von Bischof Sheen, Way to Inner Peace , und zu meinem zwölften Geburtstag ein Medaillon für zwei kleine Bilder, in das sie bereits ein winziges Foto von sich eingelegt hatte.
    Nach dem langen Musikteil von Vals Trauerfeier gerieten die Reden, die auf dem fotokopierten Programm angekündigt waren, zum Glück relativ kurz: Vals Mann und ein Yogaschüler von ihr hielten eine Ansprache, und dann konnten andere Trauergäste sprechen.
    Ich war vollkommen durcheinander – nicht so sehr wegen Vals Tod, sondern wegen der Erkenntnis, dass ich mit den vier Frauen hinter mir verwandt war. Auch ich hatte eine kleine Ansprache vorbereitet und kramte jetzt meinen Text über Vals Liebe zur Schönheit und ihre Leidenschaft für die Malerei hervor.
    »Meine Mutter liebte Kunst«, sagte ich. (Hier zumindest wollte ich Val noch als meine Mutter bezeichnen.) Ich brachte allerdings nicht zur Sprache, dass mir seitens meiner Mutter weniger Liebe zuteilgeworden war als der Kunst. Und das bisschen Zuwendung war dann auch noch mein Leben lang überschattet gewesen von dem Gefühl, Val ständig zu enttäuschen und nicht die Tochter zu sein, die sie sich gewünscht hatte.
    Und tatsächlich war ich es auch nicht. Zum ersten Mal in meinem Leben ergab das alles Sinn. Nicht ich sollte hier vor den Trauergästen sprechen, sondern Ruth.
    Nach meiner Rede fragte David, ob noch jemand etwas

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