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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Kater hinauszuscheuchen, doch er sah mich nur verächtlich an. Schließlich entrollte er sich, sprang vom Bett, schnippte verdrossen mit dem Schwanz und stolzierte zur Tür hinaus.
    Dies war vermutlich Mrs. Shapiros Schlafzimmer, denn es lagen überall ihre Kleider herum - die Schiebermütze mit dem Schottenkaro, die zehenfreien Stöckelschuhe und am Boden neben dem Bett ein Hemdhöschen aus pfirsichfarbener Seide mit cremefarbenem Spitzenbesatz und einem gelblichen Fleck in der Mitte. Im Nussbaumschrank, der mit Sonnenrädern im Art-deco-Stil verziert war, hingen jede Menge Kleider auf wattierten Bügeln. Sie rochen nach Mottenkugeln und wirkten elegant und teuer wie Kostüme aus einem Humphrey-Bogart-Film. In einer Ecke stand eine passende mit Sonnenrädern verzierte Frisierkommode, in deren dreiteiligem Spiegel ich das Fenster zum Garten sehen konnte. Ich durchwühlte mehrere Lagen uralter, sich zersetzender Schminkutensilien und muffiger, streng riechender Unterwäsche. Nichts davon war interessant, und so setzte ich mich auf die Bettkante, öffnete die Harlech-Castle-Blechdose und nahm die sechs Fotos heraus.
    Die meisten waren schwarzweiß, nur obenauflag eines in Sepiatönen, mit abgewetzten Kanten. Es war ein Familienporträt der Jahrhundertwende: die Mutter mit Spitzenkragen und einem Baby im Arm, der Vater mit Bart und einem hohen Hut, und zwei weitere Kinder, ein kleines Mädchen in einem Rüschenkleid und ein auffällig blonder Junge mit weißen Pluderhosen und einem bestickten Hemd. Auf der Rückseite war etwas gekritzelt, das keinen Sinn ergab. Bis mir klar wurde, dass es kyrillisch war. Ich konnte nur die Jahreszahl lesen: 1905. Er musste es auf dem ganzen Weg bei sich getragen haben, versteckt in einer Geheimtasche oder im Futter seiner Jacke.
    Dann fiel mein Blick auf ein Hochzeitsfoto: ein großer Mann, blond und gutaussehend, der die Hand einer hübschen Frau mit leidenschaftlichen Augen und dichten schwarzen, unter einem weißen Blütenkranz hochgesteckten Locken hielt. Mit großen Augen blickten sie mir aus dem Foto entgegen, halb lächelnd, als wären sie selbst überrascht von ihrem Glück. In dem Mann erkannte ich Artem Shapiro. Aber wer war die Frau? Ein attraktives herzförmiges Gesicht mit weit auseinanderstehenden dunklen Augen und einem vollen, großzügigen Mund. Ich sah mir das Bild genau an, denn mit dem Alter verändern sich Gesichter natürlich, aber es konnte keinen Zweifel geben. Die Frau auf dem Foto war nicht Naomi Shapiro.
    Ich starrte das Foto immer noch an, als ich ein Geräusch aus dem Garten hörte - Stimmen, das Quietschen des Gartentors. Mein Herz schlug schneller. Hastig steckte ich die Fotos in meine Tasche, schloss die Blechdose und versteckte sie oben auf dem Kleiderschrank. Durch den Spiegel auf der Frisierkommode spähte ich in den Garten. Ein Mann und eine Frau standen auf dem Weg; sie standen einfach nur da und sahen sich das Haus an. Die Frau war stämmig und rothaarig und trug eine grellgrüne Jacke; der Mann war untersetzt und hatte rote Wangen. Er trug einen blauen Parka und rauchte. Jetzt trat er die Zigarette auf dem Gartenweg aus und sprach mit der Frau. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte, doch ich sah das zähnefletschende Lachen der Frau. Bis ich unten an die Tür kam, waren sie fort.
     

9 - Gummi
    Bei meinem nächsten Besuch im Krankenhaus hatte eine andere Krankenschwester Dienst. Kommentarlos sah sie sich die Papiere an, die ich mitgebracht hatte, machte ein Kreuzchen in Mrs. Shapiros Krankenblatt, dann reichte sie sie mir zurück.
    »Wie geht es ihr?«, fragte ich.
    »Gut. Sie kann wieder nach Hause, sobald wir ihre Wohnsituation geprüft haben.« Sie ging das Krankenblatt durch. »Wie ich sehe, haben Sie den Schlüssel zu ihrem Haus. Ich sage Mrs. Goodknee Bescheid, dass sie sich bei Ihnen wegen eines Termins melden soll.«
    Wieder Mrs. Goodknee. Ich stellte mir eine Frau in einem Minirock mit Grübchen in den rundlichen Knien vor.
    Mrs. Shapiro saß im Bett, das Haar ordentlich zurückgekämmt, das keimtötend grüne Krankenhausnachthemd bis zum Hals zugeknöpft. Es schien ihr gut zu gehen; sie hatte im Krankenhaus zugenommen. Ihre Wangen waren rosig, und ihre Augen wirkten blauer - ja, ihre Augen waren eindeutig blau.
    »Hallo. Sie sehen gut aus, Mrs. Shapiro. Werden Sie gut versorgt? Oder müssen Sie immer noch Würstchen essen?«
    »Keine Würstchen. Jetzt ist es viel besser. Sie geben mir Hähnchen mit Bratkartoffeln. Haben Sie Wonder Boy

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