Das Leben nach dem Happy End
sie nicht einmal tot war und ich sie selbst umgebracht hatte.
»Halland und ich hatten darüber gesprochen, dort hinzufahren, wenn der Pavillon jemals wiedereröffnet würde. Wenn du nicht mit willst, gehe ich eben allein.«
21
»Die Hexen in meiner Nachbarschaft
geraten jedes Mal in Lebensgefahr, wenn ein neuer Autor
den Wirklichkeitsgehalt ihrer Visionen nachzuweisen sucht.«
Essais , Montaigne
Am Anfang. Bevor wir jeden Abend Fernsehen guckten, lasen wir und unterhielten uns. An einem Abend am Anfang erzählte Halland von einem Hypnotiseur, den er als Kind erlebt hatte. Er hatte eine Gruppe von Jugendlichen dazu gebracht zu glauben, sie seien Hühner, doch Halland hatte nicht geglaubt, dass sie wirklich hypnotisiert worden waren, er meinte, es sei ein Schwindel gewesen, und dieser Meinung war er noch immer.
Ich hatte auch eine solche Séance miterlebt, derselbe Hypnotiseur, nur etwas älter. Ich glaubte daran. Das berichtete ich Halland. »Warum?«, fragte er. Mein Argument hatte sich in eine Anekdote verwandelt, so oft hatte ich es schon zum Besten gegeben. Jetzt wollte ich sie Halland erzählen, doch sie blieb mir im Halse stecken.
Ich hatte Angst davor gehabt, dass mich die Kraft der Hypnose unten im Saal treffen könnte, obwohl ich mich ganz nach hinten gesetzt hatte und den Kopf schüttelte und nein, nein, nein, nein murmelte, um die Stimme und den Blick des Hypnotiseurs abzuwehren. Eine Gruppe von Zuschauern war empfänglich und kam auf die Bühne, sie wurden darum gebeten, alberne Dinge zu tun, und taten sie auch. Sie bekamen einen Drink und prosteten sich fröhlich mit unsichtbaren Gläsern zu, sie waren offenkundig betrunken. »Jetzt seid ihr bei einer Strip-Show!«, sagte die metallische Hypnotiseurstimme. »Was siehst du, Hans Henrik?« Hans Henrik war ein großer, dünner und schüchterner Junge aus meiner Klasse, der selten irgendetwas sagte. Wir hielten den Atem an.
»Das ist eine große Ferkelei!«, rief er mit tiefer und verzerrter Stimme. Der ganze Saal lachte.
Es war diese Form der Entblößung meiner selbst, vor der ich Angst hatte, dieses Zweideutige, mich selbst auszuliefern, vielleicht nicht so sehr die Sehnsüchte und Fantasien meines Unterbewusstseins, sondern eher: dass der Weg zu ihnen hinab ein so weiter war. Plötzlich sah ich voraus, wie sehr ich in Hallands Augen Hans Henrik ähnelte, und die Geschichte war nicht länger lustig. Halland würde sich nicht auf die richtige Weise amüsieren, sondern die Anekdote dazu benutzen, mich zu durchschauen. Also erzählte ich sie auch nicht.
In der Nacht schrie ich: »Du triffst mich!«
»Wo? Wo?«, flüsterte er. Doch dann war es vorbei, mehr brachte ich nicht über die Lippen.
22
»Es heißt, die Mutter habe seinerzeit
darüber geklagt, der Junge wolle
nicht lernen, Branntwein zu trinken,
obgleich sie Zucker beimische. Als Erwachsener
bereitete er seiner Mutter in dieser Hinsicht
jedenfalls keinen Kummer.«
Landfahrer und Vagabunden , H. P. Hansen
Ich fuhr mit dem Rad. Wie sah ich aus? Zumindest hatte ich geduscht, mein Haar hochgesteckt, so gut es ging, und zwei lange Ohrringe baumelten hin und her, wenn ich in die Pedale trat. Es war mild und ruhig, ich murmelte: »… küsset uns mit Gold im Mund das liebliche Abendglühen«, die Rapsfelder dufteten, ich hatte mir noch einen Aquavit genehmigt, bevor ich aufbrach, es waren zwei geworden, ich hatte Lust zu singen, doch nun sprach ich laut, ich sagte: »Brandt! Halland! Brandt! Halland! Wo seid ihr? Wo seid ihr? Was geschieht nur? Was geschieht –« Es gefiel mir, mich zu wiederholen. Außerdem hörte ich nicht hin, es war ein Rhythmus, es war der Aquavit, ich war unruhig, ich war glücklich, ich hatte das Gefühl, als wäre ich glücklich, aber das konnte ja nicht stimmen, jemand hatte den Waldpavillon gekauft, warum hatten wir nicht davon gehört, ob Halland davon gehört hatte? Dann hätte er mir davon erzählt, doch was erzählte Halland mir eigentlich, es war lange her, dass wir dort gewesen waren, vielleicht zwei Jahre, damals hatten wir einen Picknickkorb dabei und saßen auf der Steinbank im verwilderten Garten. Jetzt begleitete er mich dennoch, der gute Mann, der Betrüger-Verräter, jetzt fuhren wir in den Wald, die Buche hatte ausgeschlagen, die Sonne verschwand, ich schlingerte nur ein kleines bisschen. Schon lange bevor ich ankam, konnte ich die Musik hören, ich sprang ab und schob, um es hinauszuzögern, meine Schritte wurden langsamer, ich traf ein paar
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