Das Legat der Toten
weiter durch den Kopf kreisen, ohne etwas dagegen unternehmen zu können.
»Ich habe dir ein neues Leben gegeben. Nimm es an...«
»Das werde ich. Das habe ich schon.«
»Du mußt ganz auf meiner Seite stehen. Auf deiner Stirn befindet sich das Blutzeichen. Wer es trägt, für den gibt es kein Zurück mehr. Er ist jetzt zu einem Günstling der Macht geworden, aber der Macht, die bald die andere ablösen wird. Das Millennium ist nahe. Wir haben noch etwas Zeit. Wir werden in diesen Wochen mit den Werken der Zerstörung beginnen, und du wirst dabeisein. Du, deine Freunde und auch ich. Ein Jahrhundert habe ich gewartet. Damals dachten die Menschen, mich vernichtet zu haben. Sie irrten sich, denn sie wußten nicht, wie mächtig die andere Seite ist...«
»Was soll ich denn tun?«
»Gehorchen und die Stätten der Menschen verfluchen und auch zerstören. Ihnen nehmen, was ihnen heilig ist. Das ist unser Ziel, und das werden wir schaffen.«
Miranda hatte jedes Wort gehört, auch gut verstanden, und sie hatte ebenso halblaut geantwortet. Erst jetzt fiel ihr auf, daß nicht nur sie gesprochen hatte, sondern auch Booker.
Ja, geredet. Nicht auf dem telepathischen Weg, sondern ganz normal. Sie war wieder in der Lage, normal zu denken und senkte noch einmal den Blick, um sich das Gesicht besser anschauen zu können.
Miranda Wayne hatte es als erstarrtes Gebilde mit aufgeschnittener Kehle erlebt.
Das war noch immer so, aber es hatte sich trotzdem verändert, denn die Lippen des Hängenden bewegten sich. Sie waren zu einem Lächeln in die Breite gezogen.
In diesem Augenblick wußte auch Miranda Wayne, welche Macht dieser Booker besaß.
Er war tot, das schon.
Aber der Tote lebte und würde weiterhin seine Befehle geben. Nachdem ihr das klargeworden war und sie sich mit zitternden Gliedern erhoben hatte, vernahm sie das harte, gräßliche Lachen.
Der Tote lachte, und sein fast nackter Körper wurde dabei vom Kopf bis zu den Füßen durchgeschüttelt...
***
Der Untergrund der Millionenstadt hatte uns entlassen, und wir waren so schnell wie möglich zu Lady Sarahs Wohnung geeilt. Suko und ich hatten den Eindruck, daß wir keine Zeit mehr verlieren durften, denn irgendwo braute sich etwas zusammen, das über die Menschen einen grauenhaften Schock bringen konnte.
Wieder einmal wunderte ich mich über die Horror-Oma, daß sie mit uns Schritt halten konnte. Sie ging dabei mit rudernden Armen, wurde zwar von Jane untergehakt, aber sie steckte trotzdem voller Energie. Wenn so etwas passierte, dann war Lady Sarah in ihrem Element. Sie war uns schon oft eine wertvolle Hilfe gewesen, und sie stellte dies immer wieder unter Beweis.
Vor der Tür blieb sie schwer atmend stehen und überließ Jane Collins das Aufschließen. In der Zeit sprach sie Suko und mich an. »Also, wenn ich mich nicht irre, und ich irre mich bestimmt nicht, ist das eine fürchterliche Sache damals gewesen. Dieser Booker hatte Menschen um sich gesammelt, die kein Gewissen besaßen.«
»Wie heute«, sagte Suko.
»Ja.«
»Ist Booker nicht tot?«
Auf meine Frage erntete ich von Sarah nur ein Kopfschütteln. Wir beide wußten nur zu genau, daß tot nicht immer gleich tot war.
Jane hielt uns die Tür auf, damit wir ins Haus treten konnten. Für mich war es schon so etwas wie eine zweite Heimat geworden. Ich kannte mich hier fast blind aus. Wir hielten uns auch nicht lange unten auf, sondern stiegen direkt über die Treppe hoch in das Archiv. Aus den Augenwinkeln nahm ich dabei wahr, daß Lady Sarah und Jane das Innere des Hauses weihnachtlich geschmückt hatten.
Auf einer Stufe stand ein großer Nikolaus aus bunt bemaltem Holz. Ein Engel schwebte unter der Decke, der in seinen Händen eine goldene Weltkugel hielt.
Es duftete irgendwie auch nach Weihnachten. Das konnte an dem Geruch der Tannengirlanden liegen, die sich über den Türen verteilten. In meiner Wohnung sah es nie weihnachtlich aus. Nicht daß ich keinen Sinn dafür gehabt hätte, aber so etwas kostete auch Zeit, und die stand mir nicht massenhaft zur Verfügung.
Jane schaltete unter dem Dach das Licht ein. Ich war ihr als erster gefolgt und fragte sie jetzt, ob sie die alten Zeitungsausschnitte schon gescannt hatte.
»Ja, habe ich.«
»Wunderbar.«
»Disketten sind manchmal etwas Wunderbares«, sagte sie. »Sie sparen Platz, und du kannst jede Menge darauf speichern.« Sie hatte eine breite Schublade aufgezogen, die zu einem Sideboard gehörte, das sich an einer Seite unter der gesamten
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