Das letzte Hemd
halbem
Ohr zugehört, als Stöffel den neuesten Stand der Ermittlungen in Sachen
Explosion in der Lagerhalle referiert hatte. Es hatte sich einiges getan,
inzwischen stand fest, dass vor Ort manipuliert worden war. Hochgradig
verdächtig waren Kolbichs alter Chef und dessen Geschäftspartner. Deibel war wohl
untergetaucht, Vahrenhorst angeblich im Urlaub, so viel hatte er mitgekriegt.
Oder war das umgekehrt? Er wollte Stöffel gerade um Wiederholung bitten, als
Larry hereingeschlendert kam. Becker schob Stöffel, der nur noch sagen konnte:
»Wir sind dran, wir suchen die beiden«, sanft, aber bestimmt mit dem einen Arm
aus dem Büro und zog die Tür mit dem anderen in einer einzigen fließenden
Bewegung zu, um dann auf den freien Besucherstuhl zu zeigen. »Nehmen Sie
Platz.«
Larry nickte bewundernd, während er zu dem Stuhl ging. »Sind Sie mit
der Nummer noch frei? Hut ab, alle Achtung.«
Becker reagierte nicht, ließ sich auf seinen Stuhl fallen und sah
ihn erwartungsvoll an. »Und?«
»Und was?«
Beckers Blick sagte alles. Larry zog ein Bündel Papiere aus seiner
sehr abgeschraddelten, einstmals olivgrünen Armeeumhängetasche, die schon vor
gut fünfundzwanzig Jahren bei den Studenten aus der Mode gekommen war, und
reichte sie Becker über den Tisch. Dann stand er auf.
Becker sah ihn an. »Sie wollen doch nicht gleich wieder gehen? Sie
müssen mir das hier alles erklären …« Er deutete fahrig zwischen dem Bündel mit
den Papieren und seinem Computerbildschirm hin und her, ohne wirklich zu
wissen, was er damit meinte. Larry hob beruhigend die linke Hand und kramte mit
der rechten in seiner Hosentasche herum. Dann zog er triumphierend etwas heraus
und legte es vor Becker auf den Schreibtisch. Es war ein ziemlich kleiner USB -Stick.
Becker war gespannt, was Larry herausbekommen hatte. Er vermutete,
dass die brennenden Autos und das auffällige Interesse des britischen Offiziers
an dieser Blackbox in irgendeinem Zusammenhang standen. Doch Larry erklärte
erst einmal ein bisschen umständlich und wenig laienhaft, was er eigentlich gemacht
hatte und was dabei die eigentliche Schwierigkeit gewesen war. Becker blätterte
derweil die Zettel durch, es waren Ausdrucke von Standbildern aus dem Video,
»Screenshots«, wie Larry erklärte. Bei dem Zettel mit der Schrifttafel stutzte
er. »Was ist denn 2/11? Ich kenn nur 9/11.«
Larry hatte gerade zu einer längeren Ausführung zu Guy Fawkes im
Allgemeinen und dem »Gunpowder plot« im Besonderen ansetzen wollen, doch jetzt
stutzte auch er. »Stimmt, darüber bin ich noch gar nicht gefallen …«
Becker verstand nur Bahnhof. »Wieso gefallen? Was war denn vor 25 Jahren,
das nie vergessen sein wird?«
Larry erklärte in kurzen Zügen, was es mit Guy Fawkes, dem Film »V wie
Vendetta« und dem Datum auf sich hatte. »Der Guy Fawkes-Day ist der 5. November,
deshalb dachte ich, hier sei aus irgendeinem Grund der 2. November
gemeint. Aber wahrscheinlich ist es tatsächlich wie beim 11. September der
11. Februar!«
Jetzt musste Becker grinsen. »Diesen letzten Satz darf man aber auch
nicht aus dem Zusammenhang heraus zitieren …«
Larry hörte gar nicht zu, jetzt war er in Fahrt. »Sie müssen
rauskriegen, was zum Teufel am 11. Februar 1985 passiert ist, und zwar
schnell.«
Becker hielt immer noch den Ausdruck mit der Schrifttafel in der
Hand. »Passiert … Und wo passiert?«
»Irgendwo. Überall. Na ja, das …« Larry hob etwas resigniert die
Schultern.
»… das schränkt es nicht eben ein«, vollendete Becker den Satz.
Larry stand auf und schob den USB -Stick
in den Schlitz an Beckers PC . Er startete den
Film, nachdem Becker sich die beste Position für die Betrachtung ausgesucht
hatte. Stumm saß er die gute halbe Minute da und besah sich die Bilder, die vor
ihm abliefen. Larry stoppte die Aufnahme. Becker fragte ihn, ob er noch einmal
ein Stück »zurückspulen« könne, wie er es nannte, und drehte beim zweiten
Durchlauf die Lautstärke am Computer hoch. Und jetzt hörte auch Larry, was
Becker bemerkt hatte: Als die klassische Musik über den Szenen aus dem Kinofilm
endete, hörte man ganz leise noch eine andere Musik, die nur über das Bild mit
der Schrifttafel gelegt worden war. Sie sahen sich an.
Larry sprach es als Erster aus. »Klingt wie Marschmusik.«
Becker nickte. »Aber nichts Bekanntes.«
»Das sagen Sie als alter Marschmusikexperte?«
Becker winkte ab. »Was nicht der Radetzky-Marsch ist … Aber das
sollte man ja rauskriegen
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