Das letzte Kind
verfallenen Gatter bog der Weg nach rechts hinter Brombeergestrüpp. Johnny zog den Revolver aus dem Halfter und hielt ihn unbeholfen schräg. »Ist da keine Sicherung dran?«
»Nein. Hab ich doch gesagt. Mein Gott, pass auf, wo du hinzielst.«
»Sorry.« Johnny richtete den Lauf auf den Boden. Der Wind bewegte das Laub, und man sah die mattsilbernen Unterseiten der Blätter. An der Wegbiegung standen Granitpfeiler, die das Tor ge-halten hatten. Das Tor selbst lag auf dem Boden; Gras wuchs zwischen den Latten herauf, und das weiche Holz war halb verrottet. Noch immer schimmerte weiße Farbe in der Maserung.
Johnny spähte um den Granitpfeiler herum und zog den Kopf wieder zurück.
»Was ist da?«, fragte Jack.
»Nichts.« Johnny richtete sich auf. »Komm weiter.«
Sie gingen zwischen den Pfeilern hindurch, und der Wald verschwand hinter der Kurve. Sie sahen Überreste von Häusern; eins war bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Rußgeschwärzte Balken, ein Kamin, der aufragte wie ein Knochen. Da, wo die Haustür gewesen war, lag nur noch eine Granitschwelle. Aus einer umgekippten Badewanne mit Klauenfüßen floss Holzasche, in der ein paar grüne Schösslinge irgendeiner wilden Pflanze wuchsen. Ein eisernes Bettgestell ragte aus dem Schutt, und auch ein paar andere Dinge, die nicht brennbar waren: zerbrochenes Geschirr, ein Kochtopf, der völlig verrostete Stahlgriff einer Wasserpumpe. Johnny hob eine Türangel auf und sah die Schlagspuren eines Hammers im Metall.
»Was für ein Durcheinander.« Jack sprach für sie beide.
Die Scheune stand noch und auch eine Räucherkammer mit einer offenen Tür und eisernen Haken an rot verrosteten Ketten. Johnny sah ein Vorhängeschloss an der Tür eines Schuppens. Daneben stand ein weiteres Gebäude. Es hatte nur eine Tür, schmale Fenster und zwei kleine Schornsteine. Wie bei dem niedergebrannten Haupthaus bestand die Türschwelle aus einem einzelnen Steinblock, der in der Mitte glatt und abgenutzt war. Sie schauten durch ein Fenster hinein und sahen einen Kamin und einen Backsteinherd, einen einfachen Tisch und Eisentöpfe. »Das war die Küche«, sagte Johnny. »Sie haben sie abseits des Hauses gebaut, wegen der Brandgefahr.«
»Ironie des Schicksals.«
Johnny trat zurück und schaute zu dem niedergebrannten Haus hinüber. »Hier draußen gibt's keinen Strom. Es könnte eine Kerze gewesen sein.«
»Oder der Blitz hat eingeschlagen.«
»Kann sein.«
»Guck mal da.« Jack streckte den Finger aus.
Johnny drehte sich um. Er sah einen Pfosten, zweieinhalb Meter hoch, und eine grün angelaufene Glocke aus Messing. »Das ist merkwürdig.«
»Was?«
Johnny drängte sich durch hüfthohes Unkraut. »Das ist eine Sklavenglocke. So eine hab ich im Bürgerrechtsmuseum in Wilmington gesehen. Die wurde geläutet, um die Sklaven von den Feldern zum Haus zu rufen.«
»Und wieso behält ein freigelassener Sklave eine Sklavenglocke?«
Johnny schaute von unten in die Glocke hinein. »Keine Ahnung. Als Erinnerung?«
»Ich krieg Zustände, Mann.« Jack flüsterte nur noch. Johnny warf einen Blick in die Scheune. Abgesehen von den landwirtschaftlichen Geräten, die er erwartet hatte — allesamt verstaubt und verrostet —, war sie leer. Er rüttelte an dem Schloss vor dem Schuppen und spähte dann durch eine Türritze. »Schrott.«
»Können wir jetzt gehen?«
Johnny betrachtete die Umgebung. Alle Konturen wirkten hart im grellen Sonnenlicht. Die Bäume standen wie eine Wand um die Lichtung herum. »Noch nicht.« Er deutete zum hinteren Ende der Lichtung, zu einer Lücke zwischen den Bäumen. »Da durch.«
Sie bewegten sich mit Vorsicht. Die Bäume ragten vor ihnen auf, und dann waren sie unter ihnen. Ein Trampelpfad führte fünfzig Meter weiter bis zur nächsten Lichtung. An seinem Ende schien die Sonne auf eine hüfthohe Steinmauer, hinter der eine Andeutung von grünem Gras lag. In der Mauer war ein Holztor. Es war in gutem Zustand, die weiße Farbe schimmernd und makellos.
»Ich hab noch nie so ungern frische Farbe gesehen«, flüsterte Jack. Sie schlichen sich näher heran. Ein Vogel stieß auf sie herab und schwenkte dann ab. Laub raschelte unter ihren Sohlen.
»Was ist das?«
Ein feuchtes Geräusch, ein Schnaufen.
Johnny schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
Geduckt rannten sie die letzten paar Meter und kauerten sich vor die Mauer. Die Steine waren warm, und das Geräusch war sehr nah, dicht hinter der Mauer. Johnny spähte durch die Latten des Tors. Er
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