Das letzte Opfer (German Edition)
haben wir unsere Ruhe.»
«Was will er tun?», fragte Barbara.
Oliver strich sich mit einer Hand über die Kehle. Sie nahm ihm den Hörer ab. Zuerst verlangte sie noch: «Jetzt spinn doch nicht rum, Stefan.» Doch dann sagte sie: «Also gut, aber es ist wirklich das allerletzte Mal. Wir werden reden, Stefan, nur reden, verstehst du? Sonst hört das nie auf.»
Vergebens versuchte Oliver, sie zu überzeugen, dass es immer so weiter ginge, wenn sie nicht einmal hart und zu Hause blieb. Dass es in der Vorwoche ein Problem mit seinem Peugeot gegeben hatte, erwähnte er nicht. Der Motor war ein paar Mal ausgegangen, als er vor einer Ampel warten musste. Aber die Sache schien behoben. Norbert hatte sich darum gekümmert, den Vergaser gereinigt und die Zündkerzen ausgetauscht.
Den größten Teil der langen Strecke bewältigte Barbara auch zügig und ohne Probleme. Erst hinter Ulm, auf der Höhe von Günzburg, bekam sie unvermittelt Schwierigkeiten. Es herrschte dichter Verkehr auf der A 8. Vor ihr stauten sich plötzlich die Fahrzeuge. Sie trat auf die Bremse, im nächsten Moment leuchtete die Batteriekontrolle auf, der Motor war aus. Aus einem Reflex gab sie Gas, der Motor sprang sofort wieder an. Bis kurz vor der Autobahnraststätte Edenbergen wiederholte sich das noch mehrfach. Auf diese Weise die letzten siebzig Kilometer bis München zurückzulegen, war ihr nicht ganz geheuer. Sie hielt es für einen Wink von oben, dass diese Fahrt wirklich nicht sein sollte, und steuerte die Raststätte an.
Kurz nach ihr fuhr Martin Kaminski auf den Parkplatz – für die Münchner Kripo wurde er zum wichtigsten und einzig glaubwürdigen Zeugen. Kaminskis Frau arbeitete als Bedienung in der Raststätte, er wollte ihr über Mittag Gesellschaft leisten und sah die junge Frau mit den auffällig langen rotbraunen, gelockten Haaren und der ebenso auffälligen Kleidung. Barbara trug eine Blousonjacke, die wie Schlangenhaut gemustert war, dazu eine weiße Jeans mit einer Zierkordel anstelle eines Gürtels.
Sie war über die offene Motorhaube des Peugeot gebeugt, betrachtete das Innenleben des Wagens, fummelte herum, schien aber keine Ahnung von Sinn und Zweck der Einzelteile zu haben. Im Vorbeigehen riet Kaminski ihr scherzhaft, ihre Finger lieber woanders hineinzustecken. Sein Rat war ihr nur einen kalten, hochmütigen Blick wert. Von Fremden ließ Barbara sich aus Prinzip nicht ansprechen. Ihr Bruder sagte später: «Sie konnte einen anschauen, dass man sich fühlte wie ein Haufen Scheiße.» Dabei war Barbara alles andere als hochmütig. Sie wusste nur um ihre Wirkung auf Männer und hatte gelernt, durch selbstbewusstes Auftreten unliebsamen Belästigungen vorzubeugen.
Kurz vor elf Uhr rief sie zu Hause an und erkundigte sich, woran es liegen, ob sie eine Rückfahrt riskieren könne oder besser den ADAC rufen solle. Das konnte Oliver ihr aus der Ferne nicht sagen, er wollte sich bei Norbert Rat holen, Barbara sollte in zehn Minuten nachfragen. Sie rief auch Stefan Leitner an, um ihm zu sagen, dass sie wegen einer Wagenpanne nicht mehr kommen könne. Dabei rutschte ihr heraus, wo sie sich aufhielt.
Als sie sich nach der vereinbarten Zeit erneut bei ihrem Bruder meldete, war Norbert bereits auf dem Weg nach Frechen, um Oliver abzuholen. Den ADAC zu bemühen, hielt er für überflüssig. Das kostete ja. Oliver wollte wissen, ob sie Stefan informiert habe. Sie beruhigte ihn. «Keine Sorge, wenn er hier auftaucht, halte ich ihn mir schon vom Leib. Hier sind genug Leute.»
Wie viele Personen sich am Ostersamstag auf dem Gelände der Raststätte aufhielten, brachte die Polizei nie in Erfahrung. Alle, die nur einen Kaffee tranken, eine Kleinigkeit aßen und bar zahlten, alle, die nur kurz Rast machten, sich die Beine vertraten oder die Toiletten aufsuchten, alle, die nach dem Tanken nicht ihre Kreditkarten vorlegten, entzogen sich den Ermittlungen.
Es muss Barbara bewusst gewesen sein, dass etliche Stunden vergehen würden, ehe ihr Bruder und Norbert Edenbergen erreichten. Ebenso war ihr wohl klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte, als sie Stefan Leitner ihren Aufenthaltsort verriet. Sie versprach Oliver mit großem Ehrenwort, sich nicht wieder bequatschen zu lassen. Das war gegen elf Uhr dreißig.
Eine gute Stunde später wurden sämtliche Besucher der Raststätte, das Bedienungspersonal und Martin Kaminski Zeugen von Stefan Leitners Auftritt. Er stürmte herein, zerrte Barbara, die sich gerade ein Mittagessen gönnte, beinahe vom
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