Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
doch schon so oft durchgekaut. Brisbane ist ein Provinznest. Zugegeben, Sydney ist auch nicht der Mittelpunkt des Universums, aber dort habe ich einfach mehr Möglichkeiten.«
»Lass sie, Win«, sagte ihr Vater. »Was gibt’s zu essen?«
»Steak and Kidney Pie.« Winifred walzte mit dem Nudelholz energisch das runde Teigstück aus.
Bette ging wieder hinaus. Natürlich machten sich ihre Eltern Sorgen um ihre Zukunft. Sie hatte eine Weile gebraucht, um sich von den Entbehrungen im Gefangenenlager zu erholen. Umso mehr war sie jetzt entschlossen, das Leben zu genießen. In Sydney gefiel es ihr, dort verkehrte sie in der Künstlerboheme und nahm Gelegenheitsjobs an. Sie hatte so lange von einem Tag auf den anderen gelebt, dass es ihr immer noch schwerfiel, langfristige Pläne zu machen. Vielleicht hatte Winifred ja recht und sie ließ sich gehen, indem sie nur tat, was ihr Spaß machte. In der Kunst fand sie Erfüllung. Wenn sie sich in den Bildern, die sie malte, verlor und dabei die hässlichen Szenen, die sie im Schlaf quälten, verscheuchen konnte, dann war sie zufrieden.
»Da ist ein Brief von Margaret. Ich habe ihn auf dein Bett gelegt«, sagte Winifred. »Hoffentlich hat sie Fotos von Philip und unserer kleinen Caroline mitgeschickt.«
Margaret und Philip waren vor dreieinhalb Jahren zu Roland nach Malaya zurückgekehrt. Dort hatte sie eine Tochter bekommen, die sie Caroline nannten. Aber offensichtlich hatten sie es nicht leicht. In ihren Briefen erzählte Margaret von einem strapaziösen Alltag, der wenig mit den glanzvollen Vorkriegsjahren gemein hatte.
Bette überflog die einleitenden Höflichkeitsfloskeln und stieß dann auf den eigentlichen Grund, warum ihre Schwester geschrieben hatte:
Ich weiß wohl, dass Du von dem, was Du in Sydney machst, ganz in Anspruch genommen bist, aber es wäre sehr nett und eine große Hilfe für mich, wenn Du uns besuchen könntest. Auch Roland wäre sehr froh, Dich wieder hier zu haben. Leider muss ich sagen, dass hier vieles nicht mehr so ist wie früher. Betrüblicherweise sind viele großartige Männer wie Gilbert nicht mehr unter uns. Wie Du weißt, war die Plantage nach dem Krieg völlig verwüstet, und Roland steht vor einer gewaltigen Aufgabe – noch dazu ohne die Hilfe seines Vaters, doch immerhin unterstützen ihn einige seiner alten Angestellten. Ich fände es schön, ein bisschen mehr herumzukommen, und wenn Du hier wärst, wäre Roland bestimmt aufgeschlossener für die Idee, dass die Kinder und ich hin und wieder einen kleinen Ausflug machen. Außerdem würde es mich freuen, wenn Caroline ihre Tante kennenlernt, und Du würdest sicherlich auch ein bisschen willkommene Abwechslung in unser tristes Gesellschaftsleben bringen! Mutter und Vater sind nicht mehr die Jüngsten und reisen ohnehin nicht gern, von ihnen würde ich daher nicht erwarten, dass sie mich besuchen. Aber da Du ja keine feste Stelle oder andere Verpflichtungen hast, kannst Du doch leichter mal wegfahren. Wir würden uns beide sehr freuen, wenn Du kämst. Ich habe ein paar neuere Fotos von Caroline für Dich beigelegt.
Alles Liebe
Deine Schwester Margaret
Philip wurde in dem Brief kaum erwähnt. Bette hatte Kontakt mit ihrem Neffen gehalten und ihm Zeichnungen von Dingen geschickt, die ihn interessieren mochten, aber auch eine schöne Auswahl an australischen Kinderbüchern. Seine Dankesbriefe waren kurz und verrieten wenig über seine Empfindungen. Wie es ihm wohl ging? Kinder sind unverwüstlich, sagte sie sich und hoffte, dass er die Schrecken des Krieges hinter sich gelassen hatte und jetzt ein normaler glücklicher Junge war.
Einige Tage später traf ein weiterer Brief aus Malaya ein. Zu ihrem Erstaunen stellte Bette fest, dass er von Roland stammte.
… freue ich mich zu hören, dass es Dir gutgeht, Bette. Ich weiß, dass Margaret Dich eingeladen hat, und möchte meiner aufrichtigen Hoffnung Ausdruck geben, dass Du uns besuchen kommst. Ich bin ein wenig in Sorge, weil Margaret aufgrund der gegenwärtigen Situation ziemlich unruhig und verzagt ist. Die kleine Caroline ist ganz entzückend, und Philip – Du würdest das Kind, das nach dem Krieg hier ankam, nicht wiedererkennen, so ist er gewachsen! Dass Du Dich um ihn gekümmert hast, werde ich Dir nie vergessen. Mir ist klar, dass Du ihm das Leben gerettet hast und dafür sicher einiges auf Dich nehmen musstest. Ich glaube, uns allen würde es guttun, wenn Du uns hier Gesellschaft leisten würdest, solange Du nur möchtest. Daher
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