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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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„Sie brauchen einen Beweis! Einen Beweis von
    Gottes Allmacht, sonst glauben sie nicht!“ Emma erinnerte sich an einen
    heimgekehrten Soldaten, bei dem das Fleckfieber auf das Gehirn übergegriffen
    hatte ... „Paul ...“ Sie hielt ihm einen Becher mit Wasser hin. „Du musst etwas
    trinken.“ Er hörte auf, die eingebildeten Fliegen zu verscheuchen, sein Blick
    kehrte aus dieser unbekannten Ferne zurück, verhärtete sich, wurde hasserfüllt,
    seine Lippen bebten, und plötzlich schrie er: „Fort! Weib! Hinfort!“
    Emma zuckte zurück und ließ den Becher fallen. Das Wasser
    spritze auf die Steinfliesen und auf ihre Schuhe. „Du bringst Sünde über uns!
    Fort mit dir!“ Schützend hielt er die Arme vor sein Gesicht. Sie starrte erst
    ihn an, dann die Tropfen, die in die Ritzen zwischen den Steinen liefen und
    dunkle Spuren hinterließen. Gleich, gleich würde sie aus einem Alptraum
    aufwachen ... Da spürte sie Johns Arm auf ihrer Schulter. Er schob sie hinaus
    und zog die eingetretene Tür hinter ihnen zu. „Ist das alles meine Schuld?“,
    flüsterte sie. „Weil ich Wirinun geholt habe?“
    Was sollte er antworten? Er war wütend auf Paul. Er hätte ihn
    aus dem Bett zerren und verprügeln wollen. „Sie sind nicht schuld“, beruhigte
    er sie. „Es sind die Umstände, es ist ...“ Er wusste doch selbst nicht, warum
    ihnen alles misslang. Wie erschöpft sie aussieht, dachte er. „Was ist nur
    passiert? Will Gott uns bestrafen?“ Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Da
    legte er behutsam die Arme um sie und hielt sie fest. Wie sie zitterte! Er
    wollte sie nie wieder loslassen.

    Eine Vorahnung trieb sie früh am Morgen aus dem Haus. Noch lag
    über allem das graue Netz der Dämmerung, kein Windhauch regte sich, und die
    mächtigen uralten Geisterbäume wachten stumm vor der Kirche. Nur das schabende
    Geräusch ihrer Sohlen auf dem Sand störte die seltsame Ruhe. Ihr Schritt wurde zögerlicher.

    Als sie aufgewacht war, hatte sie die geöffnete Tür des
    Arbeitszimmers bemerkt. Sofort war sie aufgestanden, um nach Paul zu sehen,
    bereit, eine weitere Schimpftirade über sich ergehen zu lassen. Doch sein Bett
    war leer gewesen. Sie war zum Friedhof hinter der Schmiede geeilt, weil sie
    befürchtete, er könnte in die Wüste gelaufen sein, bis ihr Blick von den weiß
    gekalkten Kirchenmauern angezogen worden war.
    Zögernd näherte sie sich dem Eingang der Kirche. Durch den
    geöffneten Türspalt wehte ein kalter Hauch. Es war still. Kein Hundegebell,
    kein Kindergeschrei, keine Vogelstimme. Sie stieß die Tür auf.
    Er lag zusammengesunken vor dem Altar. Als sie ihn rief,
    reagierte er nicht. Bevor sie sich neben ihn kniete, ahnte sie es. Er war nicht
    in Frieden gestorben. Die Augen waren weit aufgerissen und seine Gesichtszüge
    waren hart und bitter. Auf der Stirn klaffte eine blutverkrustete Wunde. Er
    musste auf die Stufe vor dem Altar gestürzt sein ... und sich das Genick
    gebrochen haben.
    Wie merkwürdig ruhig sie
    selbst war. Also ob sie alles so hatte kommen sehen ... Sie berührte seine
    breite Stirn, die Wangen mit den
    Sommersprossen, sie strich über seine Augenbrauen, über das Grübchen in seinem
    Kinn, sie fuhr durch sein wirres Haar, sie hielt seine Hand ... All das hatte
    sie so lange nicht mehr getan. „Warum, Paul?“, flüsterte sie. Eine tiefe
    Traurigkeit erfasste sie. Warum nur war alles so gekommen? Sie wollte weinen,
    aber es kamen keine Tränen, nur Leere breitete sich in ihr aus.
    Sie hielt ihn noch eine
    Weile in ihren Armen, dann legte sie ihn wieder auf die Stufen und ging hinaus.
    Am Eingang blieb sie stehen. Alles hatte sich auf einmal verändert. Der Wind
    blies durch die Bäume, irgendwo klapperte Metall aufeinander, die weißen Hunde
    bellten, ein Lachen ... Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr. Nur
    wenige Meter entfernt stand Wirinun, er hatte weiße und rote Streifen auf dem
    Oberkörper, im Kopfband steckten blaue Federn. Sie wollte ihm zurufen, dass
    Gott den Herrn Pastor zu sich geholt hatte, dass er ihn bei sich haben wollte
    und dass es allein in Gottes Macht stand, über Leben und Tod zu entscheiden,
    doch sie sagte nur: „Er wollte zu seinem Gott.“
    Zurück im Haus hielt sie
    das Pendel der Uhr an. Jetzt war es totenstill. Sie ging in sein Arbeitszimmer,
    setzte sich auf die Kante seines Feldbetts und starrte auf den Stuhl vor dem
    Schreibtisch. Nach einer Weile glaubte sie seine Anwesenheit zu spüren.
    Irgendwann war der ganze Raum

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