Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Ihre
Tränen tropften auf seine schwarze Weste. „Sie ist krank. Haben Sie’s jetzt
endlich begriffen?“ Paul sah auf ihn herunter. Er trug keinen Hut, und sein
Haar war schweißnass. „Lassen Sie sie los!“, fuhr Paul John drohend an. Seine
Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt. John wollte sie loslassen, doch Emma
hatte sich an seinen Oberarm und seine Schulter geklammert und weinte immer
noch. Obwohl John die Feindschaft, die sich zwischen ihm und Paul aufgebaut
hatte, nicht verschärfen wollte, fühlte er doch eine gewisse Befriedigung
darüber, dass Emma ihn nicht losließ. Aber schon riss Paul ihn an seiner Weste
hoch; Emma rutschte ab und wimmerte, gekrümmt am Boden liegend. John,
überrascht von dem Angriff, konnte Paul nur verständnislos in die vor Wut
flackernden Augen starren. Pauls Lippen bebten, in seinem Gesicht flammten rote
Flecken auf, er atmete schnell und flach. Dann versetzte er John einen Stoß,
sodass dieser ins Torkeln kam und beinahe rückwärts über die am Boden kauernde
Emma gefallen wäre.
So weit hätte es nicht
kommen dürfen, dachte John, und bekämpfte seine Wut. Sie mussten den Weg durch
die Wüste gemeinsam schaffen, und sie mussten später zusammenarbeiten. Sie hatten
eine wichtige Aufgabe, und jetzt schlugen sie sich beinahe! Er holte Luft.
„Paul! Lassen Sie uns damit aufhören!“ Er zog seine Weste zurecht. „Das ist
doch alles Unsinn!“ Paul blickte von Emma auf und sah ihn an. Die Verachtung
war der Verständnislosigkeit gewichen. Einen Augenblick lang sagte niemand ein
Wort.
„Sie haben damit angefangen“, sagte Paul kalt und half Emma
aufzustehen. John erschreckte ihr Zustand. Sie zitterte am ganzen Leib, ihre
Zähne schlugen aufeinander, und ihre Augen glänzten fiebrig. „Paul! Wir bleiben
für heute hier!“ Ihm war es egal, was Paul ihm vorwarf. Jemand musste sich um
Emma kümmern, und wenn es nicht ihr eigener Mann tat, dann musste er es tun! In
dem Moment sah Emma ihn an, dann sackte sie in Pauls Armen zusammen. John
konnte ihren Blick nicht deuten. War es Dankbarkeit oder Verwunderung?
8
John sah hinunter in die
Ebene, die sie seit Tagen durchquert hatten. Dann wandte er sich wieder zu den
Bergspitzen. Es waren sicher nicht mehr als achthundert Meter bis zu dem Durchgang,
aber dieses letzte Stück war sehr steil. Viel steiler als die Strecke, die sie
schon zurückgelegt hatten.
„Wir schaffen das unmöglich heute“, sagte er zu Paul, der fünf
Schritte entfernt breitbeinig auf einem größeren Stein stand und mit vor der
Brust verschränkten Armen die Bergspitzen im Visier hatte. Paul nahm von Johns
Bemerkung keine Notiz, sondern sah sich nach Hassan um, der zu seinen Kamelen
zurückgegangen war, und rief im Befehlston: „Hassan!“ Der Gerufene drehte sich
um. Paul zeigte hinauf zu dem Durchgang über ihnen. „Können wir nicht einen
Wagen hier lassen, die Rinder losbinden und sie und den kamelgezogenen Wagen
hinüber zur Wasserstelle führen?“ Hassan folgte mit zusammengekniffenen Augen
Pauls ausgestrecktem Arm und nickte. „Einer von uns“, redete Paul weiter, „geht
dann mit den Kamelen wieder zurück und holt den anderen Wagen.“ Hassan zeigte
zum Himmel, den inzwischen eine dicke gelbliche Wolkenschicht überzog. Paul
schob den Hut in den Nacken und kniff die Augen zusammen. „Was bedeutet das?“
„Sturm. Besser beeilen.“ Paul runzelte die Stirn. Als er bemerkte, dass John
sein Zögern beobachtete, rief er ihm zu: „Los! Sie haben es gehört, wir müssen
uns beeilen!“
John überwand seinen
Groll und half den beiden Männern, die entkräfteten Rinder vom Wagen
loszubinden. Sie schirrten sie aber nicht ganz ab, da sie fürchteten, die
Rinder würden, anstatt den Berg hinaufzutraben, den einfacheren Weg hinunter
ins Tal einschlagen. Den nicht minder ermüdeten Pferden schnallten sie die
Lasten ab, aber behielten auch sie am Zügel. Sie würden mit den Tieren und dem
kamelgezogenen Wagen über den Pass gehen, auf der anderen Seite zur
Wasserstelle hinuntersteigen, dort das Gepäck, den Wagen, die Rinder und Pferde
lassen und mit den Kamelen allein zurückmarschieren, um den zweiten Wagen zu
holen.
„So, los jetzt!“, kommandierte Paul. Er hielt die Zügel der
Pferde in der Hand. „John, zu den Rindern! Beeilen Sie sich!“ Das war John
zuviel. „Und was ist mit Emma?“ „Ich hab’ gedacht, Sie kümmern sich um sie!“,
gab Paul herausfordernd zurück. „Haben
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