Das Leuchten der schottischen Wälder
im Büro das Telefon klingelte. Die Polizei meldete einen toten Rehbock auf der B 845.
„Hat er eine sichtbare Wunde?“
„Ja, ist halb aufgerissen.“
„Ist er ausgeblutet?“
„Ja, nach dem vielen Blut auf dem Asphalt ist er das wohl.“
„Dann bringen Sie ihn bitte zum Metzger nach Quarries, der weiß damit umzugehen. Und lassen Sie sich eine Keule mitgeben.“
„Wird gemacht, und danke, Ranger.“
„Nichts für ungut.“ Patrick machte sich Notizen. Er würde später den Verlust und den Verbleib eintragen. Heute war Sonntag, da war sowieso Schreibarbeit angesagt. Beinahe die Hälfte meiner Zeit verbringe ich im Büro, dachte er, dabei zieht es mich von morgens bis abends nach draußen. Aber das habe ich vorher gewusst. Ein Viertel Wald- und Holzwirtschaft, ein Viertel Landschaftspflege, ein Viertel Büroarbeit und Verwaltungskram und nur ein Viertel Zeit fürs Wild. Er verließ das Büro, um sich in der Wohnküche sein Frühstück zu machen. Aber heute Nachmittag sattle ich Lady. Die muss genau so bewegt werden wie ich, und dann geht’s ab in die Highlands.
Es war ein schöner Nachmittag. Er ließ die Hündin mit ihren Welpen in den Außenzwinger, putzte und sattelte Lady, die es kaum erwarten konnte, und erlaubte Jogas und Basco, ihn zu begleiten. Die Pointer gehorchten ihm aufs Wort, sie würden unterwegs kein Wild stören.
Lady buckelte vor Übermut und mochte es gar nicht, die ersten fünfhundert Meter im Schritt zu gehen. Aber Patrick hatte seine Prinzipien: fünfhundert Meter Schritt, fünfhundert Meter Trab und dann erst Galopp. Und genau so würde es auf dem Rückweg sein, nur in umgekehrter Reihenfolge. Das Pferd musste langsam an das Tempo gewöhnt werden, und nach dem Heimweg sollte es nicht verschwitzt im Stall ankommen.
Dann aber gab er Lady die Zügel frei, und im Galopp stürmte die Stute über die Heidehügel. Vögel flogen kreischend aus den Birken am Wegrand, ein Wildkaninchen stob davon, und die Hunde hatten Mühe, ihm zu folgen. Aber wenigstens einmal in der Woche brauchte Patrick McDoneral so einen Ritt, der dumme Gedanken verscheuchte und sein Blut in Wallung brachte. Auch Lady musste einmal ihre Kraft loswerden, denn wenn er in der Woche mit dem Pferd im unwegsamen Waldgelände unterwegs war, wo er mit dem Rover nicht hinfahren konnte, musste er Lady im Schritt reiten, um Wild und Pferdebeine zu schonen.
Als sie den Ginsterhügel erreichten, drosselte er das Tempo. Er stellte fest, dass er vollkommen unbewusst den Weg nach Broadfield eingeschlagen hatte. Unbewusst? Er grinste. War wohl eher ein unterschwelliges Bewusstsein, das da die Zügelführung übernommen hatte.
Er warf einen letzten Blick von der Hügelkuppe über die Heide. Ein paar Wanderer waren unterwegs. Die ersten Touristen kommen, dachte er zufrieden, die Bauern können wieder ein bisschen Geld verdienen. Andererseits hatte er auch viel Ärger mit den Tagesgästen, die die Vorschriften im Wald nur allzu oft missachteten. Aber daran wollte er heute nicht denken. Vorsichtig lenkte er die Stute den Abhang hinunter und dann in Richtung Broadfield. Mal sehen, was sich im alten Arzthaus tut, überlegte er und ritt gemächlich durch den Wald. Mit dem Pferd konnte er Abkürzungen nehmen, die mit dem Auto nicht befahrbar waren, und er kam fast hinter dem Garten des Anwesens heraus. Es muss ja nicht jeder sehen, dass mich das Haus interessiert, dachte er in Erinnerung an die heftigen Debatten vom Vorabend.
Er band das Pferd an eine Birke und befahl den Hunden, sich zu legen. Dann sah er sich um. Die Alpakas sind also schon draußen, überlegte er, der Garten ist allerdings noch die reinste Wildnis, da sollte eine Schafherde durchlaufen, dann ist das gröbste Unkraut wenigstens weg. Vorsichtig öffnete er das kleine Tor, das vom Grasland direkt auf das Grundstück mit den alten Obstbäumen und den Beerensträuchern führte. Im Haus schien niemand zu sein. Langsam ging er über den ausgetretenen Kiesweg zur Hintertür. Das Land rechts und links war uneben und mit Unkraut überwachsen. Nicht mal ein unverbesserlicher Optimist hätte diese Fläche als Wiese bezeichnet. Aber die Frau des Arztes hatte nie Zeit für Gartenpflege gehabt, überlegte er, die Alpakas, die Hilfe in der Praxis, das große Haus und der Farmbetrieb, wo sollte sie die Kraft für Gartenarbeit hernehmen?
Je näher er dem Haus kam, umso dichter wurde das Gestrüpp, in dem verholzte Beerenbüsche, dornige Schlingpflanzen, wild wuchernde Kräuter und
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