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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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dieselbe Geschichte beschwören.« Nirenes 99
    Rücken vor ihnen versteifte sich. »Der Tempel kann es nicht riskieren, ihren Vätern zu missfallen.« Dawn ließ ihre langen, schmalen Füße auf den Steinboden klatschen. »Wenn jemand versuchen würde, Clea oder Eloise in einer Badewanne zu ertränken, würde das wohl niemand übersehen. Doch wenn Lord Erringtons Tochter das Bedürfnis verspürt, dich zu ertränken, dann bist du nur die Tochter eines Steinhauers.«
    Nirene wandte sich zu Dawn um. »Hüte deine Zunge.
    Es sieht so aus, als hättest du Spaß daran, Latrinen zu putzen. Also gut, dann wirst du sie bis zur nächsten Sonnenwende im Herbst putzen und Bryn wird dir Gesellschaft leisten. Und jetzt macht euch zur Vogelweihe fertig.«
    Mit energisch schwingendem Rock entfernte sie sich.
    Bryn starrte ihr hinterher. »Sie bestraft uns für das, was die getan haben?«
    Dawns Zähne klapperten, während sie das Handtuch gegen ihren Kopf presste. »Tut mir Leid, Bryn. Ich hätte den Mund halten sollen.«
    Bryn legte den Arm um sie. »Ich wusste doch gar nicht, wie ich den Tag beginnen sollte, ohne die Latrinen zu putzen. Und Clea, die soll von einem Mistkäfer erwählt werden!«
     
    Im Saal der Helferinnen kümmerten sich Alyce und Jacinta um Bryn und Dawn.
    Alyce hatte aufgeschrien, als sie Dawns blutiges Handtuch und die Blutergüsse auf Bryns Schultern gesehen hatte. Dann fragte sie: »Die Federn?«
    »Wer sonst?«, gab Dawn zur Antwort.
    »Immerhin waren es nicht die Flügel«, sagte Bryn, um Dawn ein bisschen aufzuheitern. Die Flügel waren das männliche Gegenstück zu den Federn. Angeführt von Gridley, waren sie genauso unausstehlich wie Clea und Eloise.
    »Nehmt es nicht zu schwer«, sagte Jacinta beschwichtigend und blickte sie mit ihren sanften Augen voller Mitleid an. »Wir müssen euch für die Feierlichkeit zurechtmachen.«
    Jacintas Sinn für Schönheit war allgemein bekannt.
    Sie konnte ein abgewetztes Kleid so drapieren, dass es doch irgendwie anmutig wirkte, oder die Haare einer Helferin so frisieren, dass sie deren schönste Seite hervorhoben, und sie wusste auch, wie man sich selbst in abgetragenen Schuhen elegant bewegen konnte. Bryn fragte sich manchmal, ob die geheime Gabe der Taube irgendetwas mit Jacintas Begabung, alles Schöne herauszustreichen, zu tun hatte.
    Alyce versorgte Dawns Wunde. Jacinta verdeckte mit langen weißen Bändern den Verband. Noch mehr Bänder flocht sie in Dawns Haar. »So, du siehst wunderbar aus.«
    Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit mit leicht geneigtem Kopf Bryn zu. »Ich wünschte, dein Kleid wäre nicht so zerschlissen. Aber das können wir nicht ändern, deshalb machen wir das Beste aus deinem Haar.« Sie schlang blaue Bänder um Bryns Haar und ließ die einzelnen Strähnen im Nacken in einem lockeren Knoten enden. Gerade, als sie fertig war, ertönte ein tiefer Gong, dessen feierlicher Klang bis in den letzten Winkel des Tempels zu hören war.
    »Deine erste Vogelweihe«, sagte Dawn zu Bryn.
    »Hoffentlich erwählt dich der Schwan.«
    Der Schwan! Bryn lächelte bei dem Gedanken. Sie wäre mit jeder Feder zufrieden. »Und dich wählt hoffentlich der Reiher aus«, flüsterte sie.
    Sie traten auf den Gang, auf dem es vor Helferinnen und Helfern wimmelte. Die Federn flatterten in Satingewändern und glänzenden Schuhen herum. Ein paar von den Flügeln stolzierten vorbei. Sie trugen über ihren Roben Westen, in die jeweils ein Vogel eingewebt war.
    Bryn sah Gridley, dessen Weste den Vogel zeigte, der ihn erwählt hatte – den Pfau. Seine Schwanzfedern leuchteten prächtig blau und grün.
    Der Himmel war strahlend blau. Bryn suchte schnell den Horizont ab und überlegte, ob die Vögel wohl dort schwebten und warteten, bis die Feierlichkeit begann.
    Doch sie sah nichts, nicht einmal einen vereinzelten vorbeischwebenden Samen. Kein Windhauch war zu spüren.
    Zusammen mit den anderen gingen Dawn und Bryn zu einer Lichtung östlich des Sees. Dort umgaben riesige Steine eine große, kreisförmige, kurz gemähte Wiese. An ihrer Nordseite stand eine Tribüne, deren polierte Brüstung sich rund vier Meter über dem Boden befand. Rote Tücher, in Gold mit dem Knoten der Götter bestickt, hingen von den Seiten herunter.
    Renchald stand alleine auf der Tribüne und beobachtete, wie die Mitglieder des Tempels zusammenströmten.
    In der Nähe des Meisterpriesters hing ein mannshoher Gong in einem schwarz lackierten Rahmen. Direkt gegenüber auf der anderen Seite des Kreises

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