Das Liebesspiel
Verbockt.
»Du hältst mich für verrückt.« Ich mache einen Rückzieher. »Oder?«
»Willst du, dass ich das von dir denke?«
»Ich sehe deinem Gesicht an, dass du das denkst.«
»Stimmt aber nicht.«
O nein.
»Genau genommen«, sagt er, »habe ich gerade gedacht, dass ich noch keine gekannt habe, die so ist wie du.« Das ist natürlich mal eine Feststellung, fünf Wörtchen mehr, als ich verkraften kann – sie bringt mich völlig aus der Fassung.
»Eins muss ich klarstellen«, sage ich. »Ich bin vollständig austauschbar.«
Er grinst. »Werde ich mir merken.«
»Ich kann nicht kochen.«
Er antwortet nicht.
»Gar nicht«, sage ich.
»Du kannst Käsetoast machen.«
»Das ist es aber auch schon. Warum, glaubst du, lebe ich bei meinen Eltern?«
»Ist das der Grund?«
»Warum arbeite ich im Restaurant?«
Er lacht.
»Und bei mir gehen alle Pflanzen ein. Drinnen. Draußen. Egal wo …«
»Das volle Programm.«
»Du kennst doch diesen alten Spruch, Ray – auch andere Mütter …«
»Hab ich schon gehört.«
Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, der Blick dunkel im zaghaften Licht über uns, in der sterilen Restaurantbeleuchtung, von der ich plötzlich gar nicht mehr so begeistert bin. Einige Tische weiter heult ein Baby. Eine Mutter beruhigt es.
»Du gibst dir solche Mühe, mich zu überzeugen«, sagt er.
Es hat wieder eingesetzt, dieses derart laute Pochen in meiner Brust, dass ich überzeugt bin, er kann es hören. Und ein anderes Gefühl, weiter unten.
Die Kellnerin hat das Essen gebracht. Bless you . Sie heißt Karen. Bless you , Karen. Als das Essen kommt, rattern die Rädchen weiter. Stoßdämpfer zwischen uns. Rückstoß der Intimität. McLeans Meisterwerk im Hintergrund kommt langsam zum Ende.
Ich reiße mich zusammen, schneide ein Stück vom gegrillten Hühnchen ab. Ich schneide entlang dem schwarzen Gitter des Grillrosts. Als Kind bildete ich immer mehrere Häufchen auf meinem Teller. Aß der Reihe nach. Zuerst alles Grüne. Dann Kartoffeln. Fleisch als Letztes. Ich konnte es nicht ertragen, wenn etwas vermischt wurde. Selbst wenn es sich nur berührte. Hatte vielleicht etwas damit zu tun, die Tochter meiner Mutter zu sein, unbedingt anders sein zu wollen als sie. Quasi von Anfang an. Ich konnte es nicht ertragen, wenn sich Welten vermischten und Grenzen verschwammen.
»Wie ist dein Hühnchen?«, fragt Ray.
»Sie haben nicht mit Salz gespart. Was aber gut ist, meiner Meinung nach.«
»Erzähl noch mal ein bisschen«, sagt er, »von Kalifornien!«
Was soll ich da erzählen? Da wird viel gewandert, geradelt, gesurft. Jede Menge Pilates. Und sie vögeln anders als wir an der Ostküste. Ich beschließe, das nicht zu erwähnen. Was noch? Das naheliegende Verkaufsargument: Weiter nach Westen geht’s nicht mehr, ohne ins Wasser zu fallen.
Zuerst lebte ich in L. A. Klammerte mich an einen alten Freund aus meiner Zeit in New York, der eine Kellerwohnung gemietet hatte, die ich nach Plato »die Höhle« nannte. Er war Schauspieler, hatte in Soaps mitgespielt und Werbung für Levi’s gemacht, die ich sogar selbst mal gesehen hatte. Ich zog bei ihm ein, da ich keinen anderen rechten Halt hatte und keinen Grund, es nicht zu tun, aber hielt es keine drei Monate bei ihm aus. Die tagtäglich scheinende Sonne, die aalglatten Männer, die säuregepeelte Jugend der Frauen, der stumpfe, endlose Sonnenschein brachten mich fast um den Verstand – ich haute ab – eine Tasche mit Klamotten, zwei Bücherkisten –, verdrückte mich gen Norden nach San Francisco, wo die Launen des Wetters mir eher entsprachen.
Ray das zu erzählen, ist einfach. Die Geschichte ist eingeübt, glatt, sie wirkt echt. Sachlich gesehen zutreffend. Und er nickt, anscheinend befriedigt. Ich hatte es nicht vor, will eigentlich nicht lügen, will nicht mit ihm auf dieser Ebene beginnen. Und tue es trotzdem. Ich spieße ein Salatblatt auf meine Gabel. Es ist zu viel, denke ich, zu viel offenzulegen. So viele Gefühle …
Jahre bevor ich den Film von Cocteau sah, las ich den Mythos von Orpheus und begriff schon in jungen Jahren: Sie hat ihn reingelegt. Eurydike. Lief den ganzen Weg zurück in die Unterwelt, um frei zu bleiben.
»Ich mochte Kalifornien«, sage ich.
»Trotzdem bist du weggegangen.«
»Tja, ich bin nicht gerade bekannt für meine unanfechtbare Logik.«
Er sieht mich an – dieser Blick, den ich schon kenne, der sich anfühlt, als würde er auf eine Ecke von mir treten, mich nicht entkommen lassen
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