Das Lied der Dunkelheit
eine Hälfte Geld an, um in den Genuss unserer Arbeit zu kommen, doch
das restliche Viertel überschüttet meinen Schreibtisch mit Listen von Siegeln, die sie auszutauschen bereit sind. Die Sortierung wird Wochen in Anspruch nehmen!«
»Dafür wird es aber allen besser gehen«, meinte Arlen. Er setzte sich auf den Fußboden, benutzte eine harte Brotkruste als Löffel und begann heißhungrig zu essen. Der Mais und die Bohnen waren noch hart, dafür waren die Kartoffeln zu einem Matsch zerkocht, doch er beklagte sich nicht. Mittlerweile hatte er sich an das zähe, kümmerliche Gemüse von Miln gewöhnt, und Cob gab sich nicht die Mühe, die verschiedenen Sorten separat zu garen.
»Wahrscheinlich hast du Recht«, pflichtete Cob ihm bei. »Aber bei der Nacht! Wer hätte gedacht, dass es allein in unserer Stadt so viele unterschiedliche Siegel gibt! Die Hälfte davon sehe ich jetzt zum ersten Mal, und ich habe jeden Siegelpfosten und jede Tür in Miln gründlich studiert, das versichere ich dir!«
Er hielt eine beschriebene Schiefertafel in die Höhe. »Dieser Mann bietet im Tauschhandel Zeichen an, die dafür sorgen, dass ein Dämon sich umdreht und seinen Angriff vergisst. Als Gegenleistung verlangt er das Zeichen deiner Mutter, das Glas so hart macht wie Stahl.« Er schüttelte den Kopf. »Und alle sind ganz erpicht darauf, das Geheimnis deiner Abschreckungssymbole kennenzulernen, Junge. Die lassen sich auch ohne Lineal und Winkelmesser zeichnen.«
»Lineal und Winkelmesser sind Hilfsmittel für Leute, die keine gerade Linie ziehen können.« Arlen grinste.
»Nicht jeder ist so begabt wie du«, murmelte Cob.
»Findest du, dass ich Talent habe?«
»Lass dir dieses Lob nicht zu Kopf steigen, Junge«, erwiderte Cob, »aber ich habe noch keinen Menschen getroffen, der das Zeichnen von Siegeln so schnell gelernt hat wie du. Seit
achtzehn Monaten gehst du bei mir in die Lehre, und du bist schon so geschickt wie ein Geselle im fünften Jahr.«
»Ich habe über unser Abkommen nachgedacht«, sagte Arlen unvermittelt.
Cob sah ihn neugierig an.
»Du hast mir versprochen, wenn ich fleißig arbeite, würdest du mir beibringen, wie man auf offener Straße überlebt.« Eine geraume Zeit lang starrten sie einander an. »Ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten«, erinnerte Arlen den Meister.
Cob stieß einen langgezogenen Seufzer aus. »Ja, das stimmt. Was ist mit der Reiterei? Hast du geübt?«
Arlen nickte. »Ich darf Ragens Stallknecht helfen, die Pferde zu bewegen.«
»Verdopple deine Anstrengungen«, riet Cob. »Vom Reitpferd eines Kuriers hängt sein Leben ab. Jede Übernachtung im Freien, die dein Ross dir erspart, ist eine Nacht ohne Gefahr.« Der alte Bannzeichner stand auf, öffnete einen Schrank und holte ein dickes, in eine Decke eingerolltes Bündel heraus. »An jedem Siebenttag, wenn wir den Laden schließen, werde ich dir Reitunterricht geben und dir beibringen, wie man diese hier benutzt.«
Er legte das Bündel auf den Boden und rollte die Decke aus. Zum Vorschein kam eine Anzahl gut geölter Speere, die Arlen fasziniert betrachtete.
Cob blickte hoch zu dem Glockenspiel, als ein Junge durch die Ladentür trat. Der Bengel war ungefähr dreizehn Jahre alt, hatte strubbelige schwarze Locken und einen dunklen Flaum über der Oberlippe, der eher wie Schmutz aussah als wie Barthaare.
»Du bist Jaik, richtig?«, fragte der Bannzeichner. »Deine Familie betreibt die Mühle unten an der Ostmauer, nicht wahr? Wir hatten euch mal die Kosten für neue Siegel ausgerechnet, aber der Müller entschied sich dann für jemand anderen.«
»Das stimmt«, entgegnete der Junge und nickte.
»Was kann ich für dich tun?«, erkundigte sich Cob. »Möchte dein Meister vielleicht wieder einen Kostenvoranschlag?« Jaik schüttelte den Kopf. »Ich bin nur vorbeigekommen, um zu fragen, ob Arlen sich heute die Vorstellung des Jongleurs ansehen will.«
Cob traute seinen Ohren nicht. Er hatte noch nie gesehen, dass Arlen sich mit gleichaltrigen Kindern unterhielt. Anstatt mit anderen Jungen zu spielen, zog er es vor, zu arbeiten oder zu lesen. Oder er belästigte die Kuriere und Bannzeichner, die den Laden aufsuchten, mit endlosen Fragen. Jaiks Auftauchen war für Cob eine Überraschung, und Arlens Bekanntschaft mit dem Jungen musste unbedingt gefördert werden.
»Arlen!«, rief er.
Arlen kam aus dem Hinterzimmer des Ladens, ein Buch in der Hand. Erst als er beinahe mit Jaik zusammenstieß, bemerkte er ihn und blieb abrupt
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