Das Lied der Dunkelheit
dreinblickenden Kinder fest ins Auge. »Aber wir sind stark«, sprach er sie an, »nicht wahr?«
Die Kinder nickten, doch in ihren Gesichtern spiegelte sich immer noch Furcht.
»Was?«, hakte er nach, eine Hand hinter sein Ohr legend.
»Ja!«, brüllten die Zuhörer.
»Sind wir für den Erlöser bereit, wenn er zurückkommt?«, wollte er wissen. »Werden die Dämonen wieder lernen, die Menschen zu fürchten?«
»Ja!«, donnerte die Menge.
»Sie können euch nicht hören!«, schrie der Jongleur.
»Ja!«, grölten die Leute und reckten die Fäuste hoch; Arlen machte begeistert mit. Jessi ahmte ihn nach, schwenkte ihre
kleine Faust und kreischte, als sei sie selbst ein Dämon. Der Jongleur verbeugte sich, und nachdem das Publikum sich beruhigt hatte, nahm er seine Laute und stimmte das nächste Lied an.
Wie versprochen, verließ Arlen Stadtplatz mit einem Sack Salz. Es würde für mehrere Wochen reichen, selbst wenn sie Norine und Marea durchfüttern mussten. Das Salz war noch nicht gemahlen, aber Arlen wusste, dass seine Eltern die Brocken lieber selbst zerstampfen würden als den Vielfraß für diese Dienstleistung zu bezahlen. Den meisten Leuten hätte es nichts ausgemacht, das Salz daheim zu zerkleinern, aber Rusco ließ ihnen gar keine Wahl. Sowie das Salz bei ihm ankam, gab er es in seine Mühle und berechnete dann die Extrakosten für das Mahlen.
Mit hüpfenden Schritten machte sich Arlen auf den Weg zu den Holzfällerhütten. Erst als er an dem Baum vorbeikam, an dem Cholie sich erhängt hatte, bekam seine Stimmung einen gewaltigen Dämpfer. Wieder dachte er darüber nach, was Ragen über den Kampf gegen die Horclinge gesagt hatte, und welche Vorgehensweise sein Vater für die klügste hielt.
Er kam zu dem Schluss, dass sein Vater vermutlich Recht hatte. Man musste sich verstecken, wenn man konnte, und kämpfen, wenn man musste. Selbst Ragen schien dieser Philosophie zuzustimmen. Aber Arlen wurde das Gefühl nicht los, dass Menschen, die sich dauernd versteckten, ebenfalls zu Schaden kamen, nur dass man diese Blessuren nicht sah.
Bei den Holzfällern traf er auf seinen Vater, der ihm anerkennend auf die Schulter klopfte, als er ihm seine Beute, den Sack voller Salzbrocken, zeigte. Den Rest des Nachmittags verbrachte
er damit, dass er hierhin und dorthin lief und beim Neuaufbau des Weilers half. Ein weiteres Haus stand schon wieder und würde noch vor Anbruch der Nacht mit Schutzsymbolen versehen sein. In wenigen Wochen wären sämtliche Behausungen instand gesetzt, und das war in jedermanns Interesse; denn nur die Holzfäller konnten dafür sorgen, dass der Brennholzvorrat für den kommenden Winter geschlagen wurde.
»Ich habe Selia versprochen, während der nächsten Tage hier mit anzupacken«, erzählte Jeph, als sie am Nachmittag ihren Karren beluden. »Solange ich fort bin, bist du der Mann, der die Aufsicht über den Hof hat. Du musst die Siegelpfosten prüfen und die Felder von Unkraut freihalten. Ich habe gesehen, wie du heute früh Norine bei der Arbeit angeleitet hast. Sie kann die Tiere und den Garten versorgen, und Marea hilft deiner Mutter im Haus.«
»Geht klar«, versicherte Arlen. Die Felder jäten und die Siegelpfosten kontrollieren war Schwerstarbeit, aber das Vertrauen, das sein Vater in ihn setzte, erfüllte den Jungen mit Stolz.
»Ich verlass mich auf dich, Arlen«, fügte Jeph hinzu.
»Keine Sorge, ich werde dich nicht enttäuschen«, versprach Arlen.
Die nächsten Tage verliefen ohne besondere Ereignisse. Silvy weinte gelegentlich immer noch, aber es gab viel zu tun, und kein einziges Mal beklagte sie sich darüber, dass sie nun zusätzliche Mäuler zu stopfen hatten. Norine zeigte ein natürliches Talent im Umgang mit dem Vieh, und selbst Marea taute ein bisschen auf, wenn sie beim Fegen und Kochen half und an den Abenden am Webstuhl saß. Bald ging sie dazu über, Norine bei
der Arbeit zu unterstützen, und die beiden Frauen wechselten sich mit ihren Pflichten ab. Sie waren fest entschlossen, ihren Gastgebern nicht zur Last zu fallen, und schufteten von früh bis spät; doch jedes Mal, wenn die Arbeit getan war und sie die Muße eigentlich hätten genießen sollen, nahmen ihre Gesichter denselben schmerzlichen Ausdruck an, den Arlens Mutter in ihren Zügen trug.
Vom Unkrautjäten bekam Arlen Blasen an den Händen, und jeden Abend taten ihm der Rücken und die Schultern weh, aber er jammerte nie. Die einzige seiner neuen Pflichten, die er genoss, war das Kontrollieren
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