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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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weil du mich mit deiner Anwesenheit dazu gezwungen hast.«
    »Was für eine Erdhöhle?«
    »Es war sicherer, mir eine Behausung an unbekannter Stelle zu graben, als eine Wohnung in den Collegienhäusern zu beziehen, wie du dir denken kannst. Schuld daran warst nur du und deine verfluchte Anwesenheit in der Stadt.«
    »Sag mir, wo du Alena versteckt hältst!«
    »Das könnte dir so passen. Sie wäre mein Faustpfand gewesen, wenn es dir gelungen wäre, mich zu bezwingen. In diesem Fall hätte ich dir das Versteck verraten, unter der Bedingung, mich laufen zu lassen. So aber wird sie elend darin umkommen. Sie wird nichts zu beißen haben und nichts zu trinken, nur noch den lieben Gott, den sie ständig im Munde führt. Sie wird die wenigen Tage, die ihr verbleiben, in stockdunkler Finsternis dahinvegetieren, und es wird gut so sein, denn sie ist die Frau eines erbärmlichen Scharlatans.«
    »Wo ist sie? Um der Barmherzigkeit Gottes, des Allmächtigen, willen, sag mir, wo sie ist!«
    »Ich sage es dir nicht. Wozu auch. Du könntest sie ohnehin nicht befreien, weil du in wenigen Augenblicken tot sein wirst. Durch dieses Skalpell, mit dem mein ganzes Unglück begann.« Tatzel schickte sich an, auf Abraham zuzukriechen, die Klinge in der erhobenen Hand.
    Abraham wich zurück, so weit er konnte, streckte die Arme aus, um ihn abzuwehren, doch Tatzel kroch unbeirrt näher. »Deine Hände können mich nicht abhalten. Wenn du mit ihnen herumfuchtelst, werden sie nur die Schärfe des Skalpells zu spüren bekommen. Die Finger werde ich dir abschneiden, einzeln, als wären sie Butter. Also, ergib dich in dein Schicksal. Halt still, lege dich hin, dann werde ich dir vielleicht sogar sagen, wo ich deine Metze versteckt habe. Es ist ja egal, ob du es weißt, denn sie wird sterben. Ebenso wie du und ich.«
    Abrahams Herz raste, aber er legte sich auf den Rücken und presste hervor: »Sag mir, wo sie ist.«
    »Ich könnte dir die Beinschlagader aufschlitzen, dann ginge es schnell, und du würdest noch vor mir tot sein. Ich glaube, das mache ich.«
    »Sag mir endlich, wo sie ist!«
    »Du willst es wirklich wissen, wie? Wenn ich die Halsschlagader nehmen würde, wäre der Effekt ähnlich gut. Du hast es an diesem Mann, der eine Frau war, gesehen. Sie ist mittlerweile mausetot.«
    »Wo ist Alena?« Abraham krallte sich nur noch an diesen einen Gedanken. Vielleicht aus der Hoffnung heraus, ihr dann in seiner letzten Minute näher sein zu können.
    »Ich habe sie entführt. Es war ganz leicht. Ein Sack über den Kopf wirkt Wunder.« Tatzel erzählte in allen Einzelheiten, wie er Alenas habhaft geworden war und wie er sie versteckt hatte.
    »Und wo ist die Höhle?«
    »Ist es nicht egal, wo sie ihr Leben aushaucht? Aber gut, ich will es dir sagen. Sie ist in einer Erdhöhle, die ich selbst gegraben habe, und diese Höhle befindet sich nicht weit außerhalb der Stadtmauer, vor dem Geismartor. Man geht nach Süden hinaus bis zu der Gaststätte
Zum grünen Kranze.
Dahinter wendet man sich nach Westen, geht achthundert Schritt und gelangt in dichtes Unterholz, in dessen Mitte eine jahrhundertealte Eiche aufragt.« Tatzel machte eine Pause und weidete sich an Abrahams Anblick, der ihn wie gebannt anstarrte – in einer Mischung aus Zweifel, Angst, und Hilflosigkeit.
    »Weiter! So rede doch weiter!«
    »Vielleicht sollte ich nicht mehr sagen. Ich mache dir nur das Herz weit. Es muss schlimm sein, den Sterbeort der geliebten Frau zu kennen, ohne sie retten zu können. Ich werde fortan schweigen.«
    »Du schamloser, gefühlsroher Schurke! Hast du denn gar keine menschlichen Züge mehr? Sprich weiter, los, los, wo ist sie?«
    Tatzel lachte meckernd. Er genoss die Situation. Abrahams Qualen brachten ihm ganz offensichtlich ein Höchstmaß an Lustgewinn. »Vielleicht rede ich weiter, aber nur, wenn du sagst, dass du ein kleiner, mieser Scharlatan bist.«
    Abraham glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
    »Sag schon: ›Ich bin ein kleiner, mieser Scharlatan.‹«
    Abraham biss sich auf die Lippen.
    »Wenn du es nicht sagst, wirst du das Versteck nie erfahren. Dann wirst du sterben – jetzt.«
    Mit leuchtenden Augen rückte Tatzel noch näher.
    »Du verfluchter Hundsfott, wenn du es
partout
willst, dann höre!«, schrie Abraham. Ihm war auf einmal alles egal. Er wollte nur noch eines: den Aufenthaltsort von Alena erfahren. »Ich bin ein kleiner, mieser Scharlatan! Ist es recht so? Geht es deinem kranken Hirn jetzt besser? Soll ich es noch einmal

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