Das Lied der Maori
durchschnittliches, wenn auch gutherziges Geschöpf. Sabina Conetti wusste ebenso gut wie Roderick, dass ihr die große Kunst nicht gegeben war. Sie war dankbar für das gut bezahlte Engagement, stets bereit, sich um Roderick zu kümmern, wenn die Ballerinen gerade keine Lust hatten, und überhaupt jeden an ihren üppigen Busen zu drücken, der ihr sein Leid klagte. Roderick ersparte das Einiges; er kam um die gesamten privaten Probleme des Ensembles herum, die anderen Impresarios oft schlaflose Nächte bereiteten. In seiner kleinen Compagnie herrschten Frieden und Liebe – und wie sich herausstellte, war das Publikum nicht anspruchsvoll. Schon auf dem Schiff, einem Dampfer, der die Reise in nur wenigen Wochen absolvierte, gab die Truppe ein paar Konzerte, und die Reisenden überhäuften die Künstler und auch den hochzufriedenen George Greenwood mit Lob.
Roderick sah dem ersten Auftritt des Ensembles in Christchurch, Canterbury Plains, somit gelassen entgegen. Sabina Conetti in natura war vermutlich immer noch besser als Jenny Lind auf Schellack.
Auch Christchurch war eine gelungene Überraschung. Die Sänger und Tänzer hatten mit einem Kaff am Ende der Welt gerechnet, aber tatsächlich trafen sie eine Stadt an, die an englische Metropolen heranstrebte. Der Clou dabei war die schon seit 1880 betriebene Straßenbahn, die bunt bemalt durch die Straßen der adretten Stadt bimmelte. Das Christ College zog Studenten aus ganz Neuseeland an und gab der Stadt ein jugendliches Flair, und knauserig war man offenbar auch nicht. Die Schafzucht und neuerdings auch der Fleischexport hatten Canterbury zu beachtlichem Reichtum verholfen, und die Stadtväter steckten bereitwillig Steuergelder in beeindruckende öffentliche Gebäude.
Eine Oper gab es allerdings noch nicht; die Aufführung würde in einem Hotel stattfinden. Wieder einmal dankte Roderick dem Himmel für Sabina. Während sie sich mit den Klagen der Sänger über die mangelhafte Akustik des Festsaals im White Hart und die Sorgen der Tänzer über die zu kleine Bühne herumschlug, erkundete er erst die Stadt und linste dann, als die Aufführung kurz bevorstand, neugierig ins Publikum. Eine Ansammlung fein gekleideter, von Vorfreude erfüllter Menschen, die Roderick Barrister gleich feiern würden, als wäre er Paul Kalisch persönlich. Ein wahr gewordener Traum! Und dann sah er das Mädchen ...
Es war Heather Witherspoon, die William und Kura Martyn auf das Gastspiel des Opernensembles aufmerksam machte. George Greenwood hatte Gwyneira zwar informiert, aber die hatte das Ereignis glatt vergessen – zumal weder James noch Jack das Bedürfnis verspürten, hinzugehen.
»Eigentlich ist Oper was Schönes«, versuchte Gwyn ihren Sohn noch halbherzig umzustimmen. Sie wollte ihm durchaus eine umfassende Bildung ermöglichen, was auf Neuseeland nicht immer einfach war, und auch James pflegte sie hier zu unterstützen. Eine Tournee der Royal Shakespeare Company hatten die McKenzies im vergangenen Jahr begeistert besucht, wobei Jack die Schwertkämpfe allerdings spannender fand als Romeos und Julias Liebesleid. Für die Oper schien Gwyns Familie allerdings fürs Leben verdorben.
»Und was sollten wir auch mit Glory machen?«, argumentierte Jack außerdem. »Die schreit doch, wenn wir so lange nicht da sind, und wenn wir sie mitnehmen, schreit sie erst recht. Sie mag den Krach nun mal nicht.«
Der Junge hatte es sich inzwischen zur Gewohnheit gemacht, seine »Großhalbnichte« mit sich herumzuschleppen wie einen Hundewelpen. Statt Teddybärchen ließ er Hufkratzer über ihr im Stall abgestelltes Körbchen baumeln, und wenn Gloria ins Leere griff, drückte er ihr ein paar Heuhalme oder eine Pferdebürste zum Spielen in die Hand. Die Kleine schien das zu mögen. Solange ihre Mutter nicht sang oder Klavier spielte, war sie ein ruhiges Kind – und seit Jack die Sache mit dem fachgerechten Milchkochen heraushatte, schlief sie sogar durch.
Kura und William hatte Gwyn nicht über den bevorstehenden Opernabend informiert. In der letzten Zeit lebten sich die Familien auf Kiward Station immer mehr auseinander. Der Flügel mitten im Salon und Kuras abendliche Konzerte trieben James und Jack früh in ihre Zimmer, und auch wenn die junge Frau sich schließlich zurückzog, hatte keiner Lust, William beim Whiskytrinken Gesellschaft zu leisten. Außer natürlich Heather Witherspoon.
»Läuft da etwas zwischen den beiden?«, fragte James irgendwann argwöhnisch. »Ich meine ... die
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