Das Lied der Maori
die Diskussion mit ihrem Schwiegerenkel doch nun schon zum wiederholten Male. »Der Tourneeplan dieser Sänger ist schließlich kein Geheimnis. Sie sind auf der Nordinsel, nicht in Timbuktu! Aber die Frage ist, ob das etwas bringt. Sie haben ihren Brief doch gelesen: Sie ist glücklich. Sie ist genau da, wo sie sein will, und macht das, was sie sich immer gewünscht hat.«
»Aber sie ist meine Frau!«, wandte William ein – auch dies nicht zum ersten Mal, wobei er sich einen Whisky einschenkte. Es war nicht der erste an diesem Abend. »Ich habe meine Rechte!«
Gwyneira runzelte die Stirn. »Was für Rechte? Wollen Sie sie mit Gewalt holen? Theoretisch könnten Sie das sogar, sie ist ja obendrein noch minderjährig. Aber sie würde es Ihnen nie verzeihen. Außerdem würde sie gleich wieder weglaufen. Oder wollen Sie sie einsperren?«
Das ließ William verstummen. Einsperren wollte er Kura natürlich nicht, zumal sich auf Kiward Station auch kein Gefängniswärter gefunden hätte. Die McKenzies nahmen Kuras Weggang hin – und die Maoris regten sich über diese Dinge sowieso nicht auf. Nicht einmal mit Tongas Hilfe war zu rechnen. Schließlich gab es mit Gloria eine neue Erbin. Tongas Spiel war für diese Generation verloren. Gwyneira dagegen triumphierte und schien sich fast ein bisschen für ihre Enkelin zu freuen. Kuras Brief aus Christchurch – übermittelt durch George Greenwood, nachdem die Truppe bereits nach Wellington aufgebrochen war – hatte euphorisch und überglücklich geklungen. Offensichtlich hatte das Opernensemble sie mit offenen Armen aufgenommen. Natürlich, schrieb sie, müsse sie noch viel lernen, aber der Impresario, Mr. Barrister, unterrichte sie persönlich, und sie mache rasche Fortschritte. Man habe sie auch gleich am ersten Abend auf die Bühne gelassen; sie habe die
Habanera
gesungen und stehende Ovationen geerntet.
Nun mochte Kuras Erfolg, wie Gwyneira im Stillen vermutete, auch auf ihre äußere Erscheinung zurückzuführen sein, aber letztlich war das egal. Kura hatte Spaß und verdiente Geld. Solange ihr Erfolg anhielt, würde sie an Kiward Station keinen Gedanken verschwenden.
»Geben Sie ihr doch ein bisschen Zeit, Junge«, meinte James begütigend und hielt William sein Glas hin. Gwyn schien es nicht zu registrieren, doch William hatte eben schon den dritten Whisky heruntergeschüttet. James hörte dem Disput seit einer halben Stunde zu und meinte, nun auch einen Drink verdient zu haben. »Ihr jetzt hinterherzurennen nützt gar nichts, zumal ihrer Abreise doch offensichtlich ein Streit vorangegangen ist, oder?«
Nach wie vor wussten nur William und Miss Witherspoon von den Geschehnissen in der Nacht vor Kuras Aufbruch, und beide machten keine Anstalten, die Allgemeinheit davon in Kenntnis zu setzen. Kuras Weggang hatte ihr Verhältnis auch zumindest vorerst beendet. William rührte die Gouvernante nicht mehr an, seit seine Frau ihn verlassen hatte, und fand sich zu keinem vertraulichen Gespräch bereit. Insofern hegte bislang auch niemand einen konkreten Verdacht – und William hatte größtes Interesse daran, dass es so blieb.
»Genau, lassen Sie sie diese Tournee jetzt einfach mal mitmachen!« Gwyneira pflichtete ihrem Mann bei. »Danach wird man sehen. Die Rückreise der anderen Sänger ist jedenfalls gebucht und bezahlt, das hat George mir versichert. Sämtliche Reisekosten trägt die Organisation. Wenn Kura anschließend mit nach England will, wird sie das von ihrem eigenen Honorar bezahlen müssen oder mich um Geld bitten. Dann können wir immer noch über die Sache reden. Aber friedlich, William! Ich will nicht noch eine Enkelin verlieren!«
Die letzte Bemerkung brachte alle zum Schweigen, spielte sie doch auf Elaines traurige Geschichte an, die Gwyneira und James erst kurz zuvor erfahren hatten. Gwyn hatte sich sehr darüber aufgeregt, wobei sie Elaine keineswegs verdammte. Das Ganze hätte auch ihr passieren können; auch sie hatte schließlich einmal mit der Flinte vor einem Sideblossom gestanden. Natürlich war die Situation eine andere gewesen, doch Gwyneira war überzeugt, dass Elaine gute Gründe gehabt hatte, sich zu wehren. Sie verstand nur nicht, warum das Mädchen danach keine Hilfe bei ihr suchte. Kiward Station lag abgelegen; man hätte Elaine eine Zeit lang verstecken und nach einer Lösung suchen können. Auch eine Flucht nach Australien oder gar England hätte sich arrangieren lassen. Elaines spurloses Verschwinden zerrte an Gwyneiras Nerven.
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