Das Lied der Maori
einfach in den Sand stecken ... oder in Waliser Kohlenstaub. Ich bin ja schon froh, dass ich überhaupt nach Blenheim darf.«
»Du willst doch nicht in Blenheim Klavier spielen? Jetzt, in deinem Zustand!« Tim sah sie fassungslos an.
Elaine strich über seine Wange.
»Ich bin nicht krank, Liebster«, meinte sie zärtlich. »Und Kura würde wahrscheinlich sagen: Wenn man nicht mehr Klavier spielen kann, ist man tot!«
Kura wartete auf Elaine und Tim, als sie endlich die Arztpraxis verließen.
»William hat mir von dem Baby erzählt«, sagte sie gepresst. »Du ... freust dich, nicht wahr?«
Elaine lachte. »Natürlich freue ich mich! Das ist das Wunderbarste, das mir in meinem Leben passiert ist! Aber mach dir keine Sorgen, ich komme trotzdem mit nach Blenheim. Ab morgen üben wir wieder, in Ordnung? Heute bin ich noch etwas schlapp. Und dann wollte ich auch noch telegrafieren ...«
»Das hat William mir schon erzählt«, meinte Kura, immer noch ziemlich gezwungen. »Also, das mit Blenheim und dem Telegrafieren ... Elaine, ich weiß, es ist viel verlangt. Aber könntest du nicht noch ein bisschen warten? Wenn du jetzt deine Eltern benachrichtigst, sind die doch in zwei Tagen da.«
»Na ja, zwei Tage ist vielleicht etwas knapp, aber ...« Elaine schaute ihre Cousine verwundert an. Sie verstand nicht, um was es Kura ging, doch ihr schien dieses Anliegen sehr wichtig zu sein.
»Elaine, wenn sie dich finden, dann finden sie mich auch. Dann geht das nächste Telegramm nach Haldon, und ich ... Versteh doch, Lainie, ich möchte nicht als Barpianistin aufgegriffen werden! Wenn dieses Konzert in Blenheim erfolgreich ist, bin ich eine Sängerin mit eigenem Programm, mit eigener Tourneeplanung. Dann habe ich Zeitungsausschnitte vorzuweisen. Ich kann sagen, dass wir nach London gehen werden ...« Kuras Augen strahlten allein bei dem Gedanken an ihre Erfolge, doch ihre Stimme klang zweifelnd und beinahe flehend. »Aber wenn deine Eltern mich im Wild Rover singen hören, wenn sie herauskriegen, dass ich ein Jahr lang völlig erfolglos getingelt bin ... bitte, Lainie!«
Elaine schwankte. Dann nickte sie.
»Auf eine Woche kommt es nicht an«, sagte sie schließlich. »Ich hoffe bloß, es wird wirklich so erfolgreich. Ich habe mich irgendwie nie als Künstler gesehen ...«
Kura lächelte. »Vielleicht wird das Baby ja mal einer. Oder eine. Ich werde ihm zur Geburt jedenfalls einen wunderschönen Flügel schenken.«
6
Elaine empfand die Reise nach Blenheim nicht als anstrengend. Im Gegenteil, sie genoss den Blick aus der Kutsche über die oft atemberaubenden Gesteinsformationen der Alpen und schließlich die Weinberge oberhalb Blenheims. Kura schien das alles gar nicht zu sehen. Sie blickte starr geradeaus und schien Melodien zu lauschen, die sich nur ihr erschlossen. In ihrer persönlichen Ewigkeit durchlebte sie abwechselnd die Hölle des Misserfolges und das Glück des tosenden Beifalls. William hatte nur Augen für Kura. Er schien dem Auftritt ebenso entgegenzufiebern wie sie – und natürlich war es auch für ihn ein Neuanfang. Wenn Kura jetzt Erfolg hatte, würde er das Nähmaschinengeschäft aufgeben und sich ganz der Aufgabe widmen, seine Frau bekannt und berühmt zu machen.
Beide schienen dieses Konzert als den entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben zu betrachten – und Elaine fühlte die Bürde manchmal ziemlich schwer auf sich lasten. Dazu sorgte sie sich um Tim, für den die dreitägige Reise zur Strapaze wurde. Dabei hatte Elaine extra darauf bestanden, die Tagesetappen kurz zu halten. Sie kamen fast so schleppend voran wie auf der unseligen Reise von Queenstown nach Lionel Station. Allerdings waren die Wege streckenweise uneben und schlecht ausgebaut. Auch Kura klagte nach der zweiten Etappe, ihr täten sämtliche Knochen weh. Tim sagte nichts, sah aber aus, als wäre bei ihm genau das der Fall. Er versuchte gute Laune vorzutäuschen, doch Elaine bemerkte seinen angespannten Ausdruck und die tiefen Schatten unter den Augen. Sie hörte ihn im Schlaf stöhnen, sofern er überhaupt Schlaf fand. Wenn sie sich nachts in sein Hotelzimmer schlich, war er meist wach, in irgendeine Lektüre vertieft, um sich von den Schmerzen in der Hüfte abzulenken. Das alles waren denkbar schlechte Aussichten für seine immer wieder geäußerten Pläne zur Auswanderung.
Elaine grauste es vor der sechswöchigen Seereise. Sie stellte sich das Schiff als einen ständig schwankenden Kahn vor, auf dessen Deck Tim bei jedem
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