Das Lied der Maori
Stadthaus sofort wieder zu verlassen.
Tatsächlich fand sich dann auch durchaus die Möglichkeit, die Dienstmädchen kurze Zeit allein werkeln zu lassen. Die Köchin war ohnehin froh, wenn ihr niemand in die Töpfe guckte, und die Kinder hatte man in Erwartung des Empfangs bereits bei Freunden untergebracht.
»Ich kann es kaum erwarten, Kura wiederzusehen!«, erklärte Heather schließlich und brachte ihr Haar in Ordnung, während sie William hinausbegleitete.
»Und ich freue mich darauf, den fabelhaften Mr. Redcliff endlich persönlich kennen zu lernen!«, sagte William lächelnd. »Wir kommen dann um acht.«
Kura und Elaine verbrachten den Nachmittag damit, sich den Konzertsaal im Hotel anzuschauen und ihr Programm noch einmal zu proben. Elaine war anfangs eingeschüchtert von der Größe und Eleganz des Raumes. Überhaupt imponierte ihr das Hotel. Es war weitaus mondäner als das White Hart in Christchurch und mit der Pension ihrer Großmutter erst recht nicht zu vergleichen.
»Die Akustik ist hervorragend!«, erklärte Kura, die mit Barristers Ensemble schon einmal in der Stadt gastiert hatte. »Und diesmal werden wir die Bühne für uns haben, ganz allein für uns. Keine anderen Sänger und Tänzer, die Leute werden nur auf uns hören! Ist das nicht ein herrliches Gefühl? Wie Champagner ...« Sie wirbelte auf der Bühne herum. Elaine fand das eher beängstigend. Sie hatte schon Herzklopfen, neigte aber nicht zu Calebs Angstzuständen. Ihr Lampenfieber würde ihr eher Auftrieb geben, und der Glanz um sie herum würde auf ihr Spiel abstrahlen. Kura machte sich da keine Gedanken. Sie hatte Tänzer im Ensemble erlebt, die jeden Abend vor Aufregung zitterten, um dann immer besser zu werden. Lainie war auch so ein Typ – bestimmt machte sie ihre Sache gut.
Elaine spielte schon jetzt, bei der Generalprobe, besser als in Greymouth; aber das lag vielleicht an dem tadellos gestimmten und sehr kostbaren Flügel, den das Hotel zur Verfügung stellte. Elaine betrachtete das Instrument voller Ehrfurcht und spielte es dann mit sichtlicher Freude.
Beide Mädchen waren in Hochstimmung, als sie schließlich auf ihre Zimmer gingen und sich für den Abend umzogen. Mrs. O’Brien hatte tatsächlich das Kunststück vollbracht, Elaine in nur einer Woche ein neues Kleid zu schneidern. Diesmal in dunklerem Samt; azurblauer war so schnell nicht ein zweites Mal aufzutreiben. Aber es sah auch so wunderschön aus. Das Nachtblau ließ Elaines Haar noch mehr leuchten und betonte ihren sehr hellen Teint. Es ließ sie ernster wirken und weniger mädchenhaft.
Kura hatte kein neues Kleid. Ihre und Williams Ersparnisse waren für die Reise und die Ankündigungen des Konzerts gänzlich aufgebraucht worden, und William musste passen, als sie ihn bat, ihr selbst ein Kleid zu nähen.
»Süße, ich beherrsche diese Wundermaschine nur unvollkommen. Und wenn du mich fragst, wird es auch nur ein Bruchteil aller Frauen jemals zu Mrs. O’Briens Fertigkeiten bringen. Ehrlich gesagt hätte ich das gar nicht für möglich gehalten, bevor die Dame Hand an die erste Singer legte. Eine Naturbegabung. Ich habe schon überlegt, ob man sie für Vertreterschulungen gewinnen kann ... Aber wenn wir in Blenheim Erfolg haben, hat es sich sowieso ausgesingert. Dann kaufst du deine Garderobe bald in London ...«
So würde Kura in ihrem alten weinroten Kleid auftreten, aber sie würde damit immer noch alle Frauen um sie herum in den Schatten stellen. Auch im Hause der Redcliffs folgten ihr schon bewundernde Blicke, bevor sie überhaupt als Ehrengast des Abends vorgestellt worden war. Heather Redcliff begrüßte sie überschwänglich, Kura ließ sich sogar von ihr umarmen.
»Du siehst hinreißend aus, Kura, wie immer!«, begeisterte sich Heather. »Erwachsener bist du geworden, und es steht dir großartig! Ich kann es kaum abwarten, dich singen zu hören!«
Kura konnte das Kompliment nur zurückgeben. Heather sah gepflegter aus, weicher – und heute strahlte sie von innen heraus. Ein Ausdruck, an dem William Martyn nicht ganz unschuldig war.
Mr. Redcliff erwies sich als schwerer, ein wenig korpulenter Mann in mittleren Jahren, rotgesichtig, aber eher vom vielen Aufenthalt in Wind und Wetter als von allzu intensivem Whisky-Genuss. Er hatte schütteres Haar, aufmerksame braune Augen und einen festen Händedruck. William fühlte sich von ihm abgeschätzt. Tim fand ihn auf Anhieb sympathisch. Letzteres beruhte auf Gegenseitigkeit. Die beiden waren bald in
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