Das Lied der Maori
übernimmt. Schlechte Zeiten können wir uns dann nicht mehr leisten.«
»Aber nach dem, was du sagst, scheint Jack sich doch zu einem fähigen Farmer zu mausern«, meinte Helen. »Wie ist denn sein Verhältnis zu Kura? Hätte sie etwas dagegen, wenn er die Farm übernimmt?«
Gwyn verneinte wieder. »Jack ist ihr egal. Wie alles andere auf der Welt, das man nicht in Notenschrift übertragen kann.«
»Na also! Dann würde ich auch nicht zu lange darüber nachgrübeln, was wie warum passieren könnte, wenn die Farm mal nicht mehr so gut läuft. Du musst nicht immer vom Schlimmsten ausgehen. Es ist gar nicht gesagt, dass Kura von euren Zuwendungen abhängig bleibt. Sie könnte sich ja zu einem international berühmten Opernstar hocharbeiten, der im Geld schwimmt. Oder sie macht etwas aus ihrem Aussehen und heiratet einen Fürsten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass euch dieses Mädchen sein Leben lang auf der Tasche liegt. Dafür ist es zu schön und zu selbstbewusst.«
Gwyneira lag in dieser Nacht noch lange wach und dachte über Helens Vorschläge nach. Vielleicht war ihre bisherige kategorische Ablehnung von Kuras Plänen ja wirklich falsch gewesen. Bei Licht gesehen gab es ohnehin nichts, was Kura auf Kiward Station hielt – wenn Tonga mit seinen Plänen nicht erfolgreich wäre, konnte sie die Farm verkaufen, sobald sie volljährig würde. Bisher hatte Gwyn sich mit dieser Möglichkeit noch gar nicht befasst, aber Helen hatte ihr die Sache drastisch vor Augen geführt. Ihre Vormundschaft über Kura würde in absehbarer Zeit enden, und dann war Kiward Station den Launen der jungen Frau auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Als der Morgen graute, hatte Gwyn ihre Entscheidung fast schon getroffen. Sie musste noch mit James darüber sprechen, aber wenn sie ihm Helens Argumente vortrug, würde er zu dem gleichen Ergebnis kommen.
Kura-maro-tini Warden war der Erfüllung ihrer Wünsche nie so nahe gewesen wie an diesem strahlend schönen Herbsttag – an dem William Martyn zum Dinner nach Nugget Manor kam.
5
Ruben O’Keefe hatte sich am ersten Abend mit Gwyn und Kura ausgiebig gelangweilt – und er hatte nicht vor, das so bald zu wiederholen. Nun würden die beiden auch nicht viel länger auf Nugget Manor bleiben; das Haus war für Logierbesuch zu abgelegen, erst recht für solchen, der noch nie auf einem Pferd gesessen hatte! Helen hielt Zimmer für ihre Freundin und ihre Enkelin bereit, und Gwyn wollte bald umziehen. Die ersten Tage ihres Besuches aber waren stets ihren gemeinsamen Interessen mit Fleurette und Elaine gewidmet. Elaine musste ihr vorführen, welche Fortschritte sie im Reiten gemacht hatte. Sie brannte darauf, ihre Großmutter Banshee reiten zu lassen und zu hören, was sie von ihrem geliebten Pferd hielt – und natürlich würden Fleurette und Gwyn sich bis in die kleinste Kleinigkeit über alle Interna austauschen, die Kiward Station und Haldon zu bieten hatten. Ruben gönnte seiner Frau und seiner Schwiegermutter diesen Spaß und Elaine erst recht. Die sprach schon seit Gwyns Ankunft nur davon, den Hengst zu reiten, den ihre Großmutter mitgebracht hatte – jedenfalls dann, wenn sie nicht gerade von ihrem neuen Hund redete. Wo immer Kura-maro-tini schwieg, neigte Elaine zum Plappern, und Ruben graute es schon vor einem weiteren Dinner mit zwei Teenagern, von denen einer mürrisch und der andere entschieden zu aufgedreht war. Dann aber traf er William im Laden, fleißig beschäftigt mit der Registrierung der neuen Warenlieferung, und schon kam ihm eine blendende Idee, um der Sache auszuweichen.
Sein junger Buchhalter und Möchtegernschwiegersohn hatte sich am Tag zuvor ganz angeregt mit dieser Kura unterhalten. Außerdem sorgte er zuverlässig dafür, dass Elaine nicht von Hunden und Pferden redete; William machte sich aus beidem nichts, das hatte Ruben schon herausgefunden. Und in Williams Anwesenheit äußerte Elaine sich nur zu Themen, die William genehm waren. Fleurette regte sich darüber auf, Ruben dagegen fand es ganz praktisch. So praktisch, dass er gegen Mittag die Einladung aussprach, nachdem William die Mammutaufgabe, die gesamten neuen Waren zu registrieren und in die Regale zu ordnen, praktisch allein und bravourös erfüllt hatte.
»Kommen Sie heute Abend zu uns zum Essen, William! Elaine wird sich freuen, und mit meiner Nichte haben Sie sich doch auch gleich gut verstanden.«
William Martyn schien überrascht und erfreut. Selbstverständlich würde er kommen, er hatte
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