Das Löwenamulett
hat, wie viele Siegeskränze er …«
»Ja, das haben wir schon bemerkt«, sagte ich ungeduldig.
»Genau darum wollen wir ja mit ihm sprechen. Wir sind nämlich auch in einem Fanclub und haben gehört, dass er ein großer Experte ist. Uns interessiert aber vor allem Urbicus.«
»Tja«, sagte Regulus, »dafür bin ich nicht der Richtige.«
Seine Miene verdunkelte sich. »Ich muss jetzt auch wieder an die Arbeit.« Er zeigte auf den vollen Karren auf der anderen Straßenseite.
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»Was machst du da eigentlich?«, fragte Delia.
»Wir ziehen aus«, sagte Regulus knapp. »Meine Eltern und ich.« Er presste die Lippen aufeinander.
»Warum?«, fragte ich. »Gefällt’s euch hier nicht mehr?«
»Na ja«, sagte Regulus und seufzte, »ist nicht die vornehmste Wohngegend, nicht wahr? Aber uns gefällt’s. Mein Vater arbeitet als Tagelöhner auf verschiedenen Baustellen in der Stadt. Mal hier und mal dort. Und manchmal gar nicht. Da können wir uns keine Wohnung auf dem Esquilin oder gar auf dem Palatin leisten.«
Er schaute an unseren feinen Tunicen herunter. Ihm musste klar sein, dass wir nicht aus dieser Gegend stammten.
»Und warum zieht ihr weg?«, hakte Delia nach.
Regulus seufzte erneut. »Wir können die Miete nicht mehr bezahlen. Mein Vater findet seit einem Monat keine Arbeit.«
»Und euer Patron? Kann der euch nicht etwas Geld leihen?«
»Pah!« Regulus spuckte verächtlich auf den Boden. »Dieser alte Geizkragen! Mein Vater war dreimal bei ihm, hat ihn auf Knien um einen kleinen Kredit angefleht. Der Patron ließ sich nicht erweichen. Beim vierten Mal, vor ein paar Tagen, hat ein Sklave des Patrons – stellt euch das vor: ein Sklave! – meinen Vater aus dem Haus gejagt. Und gestern –während der Feiertage! – brachte uns ein Freigelassener der Hausgesellschaft den Räumungsbescheid. Wir hätten einen Tag Zeit, die Wohnung zu verlassen, ansonsten würden sie uns ein paar kräftige Kerle schicken, die uns mitsamt unseren Habseligkeiten auf die Straße werfen.«
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Regulus trat wütend gegen einen Kieselstein, der auf der Straße lag. Der Stein knallte gegen die Hauswand.
»Und wisst ihr, was der Gipfel der Gemeinheit ist?«
»Na?«
»Die Hausgesellschaft gehört niemand anderem als unserem Patron.«
»So ein habgieriger Kerl!«, sagte ich entrüstet.
»Einige Leute hier in der Gasse erzählen, dass er alle Mieter aus dem Haus treiben will, um es abreißen und ein neues bauen zu können.«
»Warum sollte er das tun?«
»Er kann dann die doppelte Miete verlangen.«
»Das ist eine Sauerei!«, schimpfte Delia.
»Und man kann nichts dagegen unternehmen«, sagte Regulus resigniert. »Hoffentlich ergeht es wenigstens Pacuvius und seiner Familie besser.«
»Was meinst du damit?«, fragte ich.
»Das kann er euch selbst erzählen. Ich muss jetzt gehen.
Wir haben noch einen langen Tag vor uns.«
»Wohin zieht ihr?«
»Aufs Land«, sagte Regulus ausweichend, »zu einem alten Freund meines Vaters. Der hat dort einen kleinen Hof geerbt.
Er wird uns für einige Zeit aufnehmen. Vielleicht können wir sogar den Winter über dort bleiben. Irgendwie wird es schon weitergehen.« Er zuckte mit den Schultern.
»Alles Gute!«, sagte ich. »Mögen die Götter euch beistehen!«
»Danke!«, sagte Regulus und zwang ein Lächeln auf sein Gesicht.
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»Und möge Nemesis euren Patron bestrafen!«, rief Delia ihm noch hinterher, als er schon im Haus verschwunden war.
Was für ein gemeiner Kerl dieser Patron sein musste! So etwas hatte ich ja noch nie gehört. Statt seinen Klienten zu helfen, stürzte er sie ins Elend. Ich musste an den Patron meiner eigenen Familie denken, der uns so viel besser behan-delte: ein vornehmer Senator aus Misenum, der ehemalige Herr meiner Eltern, zu dessen Klienten mein Vater zählte. Er hat uns in den letzten Jahren unterstützt, wo er nur konnte, und dafür nie eine Gegenleistung von uns verlangt.
Während wir eine volle Stunde lang mit wachsender Ungeduld in der Ascaniusgasse auf und ab liefen, verstauten Regulus und seine Eltern ihre letzten Sachen auf dem Karren. Sie taten uns so leid! Ich musste an unser großes Haus in Misenum denken, das nur uns gehörte und aus dem uns niemand würde vertreiben können. Und diese armen Leute hier besaßen nur einen kleinen Karren, auf dem ihr ganzes Hab und Gut Platz fand. Schließlich verabschiedeten wir uns, Regulus und sein Vater packten die Deichsel, zogen an, der Wagen setzte sich klappernd in Bewegung, die Mutter schritt
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