Das Los: Thriller (German Edition)
Handy.
Einen Mönch.
Carter war der Auffassung gewesen, dass er in den vergangenen Jahrzehnten an der Wall Street schon alles erlebt hatte. Die Begegnung mit dem Mönch in seinem Büro im Meatpacking District hatte jedoch alles Bisherige in den Schatten gestellt. Vermutlich war es auch ein besorgniserregendes Zeichen seiner Verzweiflung. Symptom einer Depression – oder vielleicht sogar ein letzter irrationaler Rettungsversuch, bevor er als letzten Ausweg an Selbstmord dachte.
Aber er hatte dem Mönch geglaubt. Seitdem ihm klar geworden war, dass es für den Fonds keine Rettung mehr gab, hatte er seinen Glauben an Gott reaktiviert. Vor etwa drei Wochen hatte er sich eines Abends plötzlich in der Trinity Church wiedergefunden, kniend und Gott um Hilfe bittend. Und keine zwei Tage später war dieser Mönch in seinem Büro erschienen. Ob Zufall oder nicht, er wollte jedenfalls daran glauben, dass derjenige, der da oben die Fäden zog, ihn erhört hatte. Er hatte Marcs bestürztes Gesicht gesehen, als er den Kugelschreiber, den der Mönch ihm mit dem Vertrag in die Hand gedrückt hatte, ansetzte, um das Dokument zu unterzeichnen.
Plötzlich legte sich eine Hand auf Carters Schulter, und er verschüttete den Martini-Cocktail.
»Nicht so nervös. Man könnte ja glauben, der Teufel ist hinter dir her!«
George Hamilton schwang sich mit einem breiten Grinsen an ihm vorbei auf den freien Sitzplatz ihm gegenüber. Er war ein drahtiger Afroamerikaner und gute zehn Jahre jünger als Carter. Der schwarze Anzug spannte über seinem athletisch gebauten Körper. Carter wusste, dass er jedes Jahr den New-York-Marathon mitlief.
»Seit wann gehört es zu deinem Job, dich von hinten an arglose Steuerzahler heranzuschleichen?«, entgegnete Carter mit gespielter Empörung und tupfte mit einer Papierserviette den Cocktail von seinem Hemdsärmel.
Hamilton griff nach seiner Lesebrille, die anstelle eines Einstecktuches aus seinem Anzug hervorschaute, und setzte sie auf. Dann nahm er die Mittagskarte, die bereits auf dem Tisch vor ihm lag.
»Hast du schon was ausgewählt?«, fragte er, während er das Menü studierte.
»Ja, vor ziemlich genau sieben Jahren, und zwar dich«, antwortete Carter.
Hamilton blickte ihn erstaunt über seine Lesebrille hinweg an. »Na, du verlierst ja keine Zeit«, bemerkte er nach einer kurzen Pause.
In diesem Moment trat ein junger Kellner an ihren Tisch.
»Was kann ich euch bringen?«, fragte er mit der Vertrautheit eines Collegekollegen und zündete dabei die zwischen ihnen stehende Kerze mit seinem Feuerzeug an.
»Ich nehme auch einen Martini-Cocktail. Und das Molekular-Menü. Dazu eine große Flasche H 2 O«, antwortete Hamilton, bevor er die Karte zuklappte und dem Kellner übergab.
Carters Handy, das neben ihm auf der weißen Tischdecke lag, vibrierte. Er schielte aufs Display.
Einen Mönch? Verarschst du mich?
Der Kellner wandte sich an ihn. »Und du?«
Carter hatte keine Ahnung, was er essen sollte, doch er überlegte nicht lange.
»Dasselbe wie mein Gast«, antwortete er und warf Hamilton einen schnellen Blick zu, um den Anflug von Zufriedenheit in dessen Augen zu erkennen. Das war also schon einmal geklärt. Er lud ihn ein.
Der Kellner wollte schon abdrehen, als Hamilton ihn zurückhielt. »Ach ja, und bitte noch eine Flasche Rotwein. Den ganz unten auf der Karte.«
Der Kellner nickte zustimmend und verschwand zwischen den vielen kleinen Tischen.
Ist ernst gemeint. Check die Überwachungsvideos von meinem Büro.
Carter hatte den Moment genutzt, um Gonzales eine SMS zurückzusenden.
Als er wieder aufsah, blickte Hamilton ihn erwartungsfroh an.
»Ich verliere keine Zeit, weil ich keine habe«, stellte Carter klar. »Weißt du, was es für meinen Ruf und meinen Fonds bedeutet, wenn die SEC gegen mich ermittelt?« Er bemühte sich nicht länger, freundlich zu klingen.
Hamilton blieb ruhig, beugte sich vor und erwiderte im Flüsterton: »Und verstehe ich richtig, dass du mich bittest, die Ermittlungen einzustellen, weil du mich damals für meinen Posten vorgeschlagen hast?«
Eine berechtigte Frage von Hamilton.
Während Carter sich vorbeugte, um Hamilton etwas zu entgegnen, vibrierte wieder das Handy.
Büro 1 oder Büro 2 (High Line)?
»Ich bitte dich nicht darum, die Ermittlungen einzustellen, ich verlange es!«
Beide lehnten sich wieder zurück. Eine junge Rothaarige mit weißer Schürze kam mit einem Tablett an ihren Tisch und stellte vor Hamilton einen Martini-Cocktail
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