Das Mädchen am Rio Paraíso
Jahre ein recht komfortables Leben erlauben. Meine Güte, dieser Unmensch! Erst das Pferd, das sie schon nicht hatte annehmen wollen, das sie sich dann aber gezwungen gesehen hatte zu behalten, weil Raúl sich unbeugsam gab, und jetzt dieses Vermögen. Sie wollte nicht sein Geld – sie wollte ihn!
Sie warf sich aufs Bett und heulte in ihr Kopfkissen. Sie war ja selber schuld. Er hatte sie gebeten, seine Frau zu werden, und sie – sie dumme Pute! – hatte abgelehnt. Wo waren ihr Abenteuergeist, ihre Risikobereitschaft, ihr Sinn für Romantik geblieben? Hatte Hannes sie ihr aus dem Leib geprügelt? War sie nach den furchtbaren Erfahrungen, die sie in ihrer Ehe hatte machen müssen, übervorsichtig geworden? So verbittert, dass sie eine traumhafte Gelegenheit nicht einmal mehr erkannte, wenn man sie auf dem Silbertablett servierte? Pah, Gelegenheit! Sie würde ihn ja nicht aus Berechnung nehmen wollen, sondern aus Liebe. Und warum tat sie es dann nicht?
Weil sie kaum mehr dem Klärchen ähnelte, das einst aufgebrochen war, um sein Glück in der Ferne zu suchen. Das hoffnungsfroh und lebenslustig gewesen war und das im Grunde seines Herzens immer daran geglaubt hatte, dass ihr ein ganz besonderes Schicksal vorherbestimmt war. Und wozu war sie geworden? Zu einer Heulsuse, zu einem verschreckten Schatten ihres einstigen Selbst, zu einer Frau, die an Märchen nicht mehr glaubte.
Trotzdem hatte sie sich wieder verliebt. Trotzdem war sie noch zu großen Gefühlen und zu außergewöhnlicher Leidenschaft fähig. Immerhin. Das war ein Trost. Nein!, schrie sie innerlich auf und krümmte sich vor Trauer auf ihrem Bett, es war kein Trost. Trostlosigkeit, das war es doch, was sie erwartete, wenn Raúl nicht mehr bei ihr war.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie in ihrem Schluchzen innehalten.
»Geht es dir gut, Klärchen?«, vernahm sie Antonias besorgte Stimme.
»Nein! Lass mich in Frieden!«
»Ich bring dir was zu essen rauf, in Ordnung?«
»Nein. Ich habe keinen Hunger.«
»Klärchen, du kannst mir ruhig dein Herz ausschütten. Das hilft. Und ich schweige wie ein Grab.«
»Geh!«
Aber Antonia ließ sich so leicht nicht abwimmeln. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit, sah Klara auf dem Bett liegen, den Kopf ins Kissen gepresst, und sah, wie ihr Körper von einem Weinkrampf geschüttelt wurde. Sie ging zu ihr. Vorsichtig setzte sie sich auf die Bettkante. Sie sah das Bündel Geldscheine und machte große Augen.
»Jesus und Maria, und da heulst du dir die Augen aus? Ich würde Freudentänze aufführen, wenn ich so viel Geld hätte.«
»Du kannst es haben. Ich will es nicht.«
»Red doch keinen Unsinn, Klärchen. Natürlich willst du es. Und du wirst es auch brauchen.«
Dann wagte Antonia sich etwas weiter vor, indem sie Klara über den Rücken streichelte und fragte: »Warum lässt du ihn ziehen, wenn es dich so traurig macht? Hat der Schuft dich etwa verschmäht?«
»Er wollte mich heiraten.« Ein Ruck ging durch ihren Körper, als ein neuerlicher Schwall Tränen in ihr aufstieg. Sie bekam inzwischen kaum noch Luft, weil ihre Nase zu war und ihr Atemholen von den Schluchzern behindert.
»Aber – das ist doch wunderbar! Er liebt dich wie wahnsinnig, das merkt ja jedes Kind. Er sieht phantastisch aus, und er scheint mir ein kluger und guter Mann zu sein. Reich ist er auch noch. Was willst du eigentlich mehr?«
»Ich habe nein gesagt. Jetzt ist er fort, und ich …« Mehr war von ihren Worten nicht zu verstehen, weil sie sie ins Kopfkissen heulte.
»Du liebst ihn aber doch auch, oder? Ich hätte schwören können, dass ihr beide ein großes Liebespaar seid, wie es nur ganz wenige auf der Welt gibt.«
Ach, die gute Antonia, dachte Klara. Was wusste die schon? Sie war gerade achtzehn Jahre alt, da verstand man vieles noch nicht. Sie war noch ganz ihren jugendlichen Wunschträumen und Selbsttäuschungen verhaftet. Wenn Konrad erst anfing, zu saufen und sie zu verprügeln, dann würde ihr das vergehen.
»Außerdem«, fuhr Antonia fort, »ist er noch gar nicht weg, dein schmucker Brasilianer. Die Fähre hat Verspätung, weil der Hofer mit seiner Tabakfuhre noch nicht gekommen ist. Das heißt, inzwischen ist er vielleicht eingetrudelt, aber vor zehn Minuten war er es noch nicht. Unten im Schankraum saß nämlich einer der Bootsleute, der die Wartezeit genutzt hat, um bei uns seinen Durst zu löschen.«
Klara dachte an den letzten betrunkenen Bootsmann, mit dem sie es zu tun gehabt hatten. Der hatte sie einfach
Weitere Kostenlose Bücher