Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
das Heilige Wasser!«
»Bleib nur hier sitzen«, sagte Utz und streichelte ungewohnt sanft ihr zerzaustes Haar. Als sie blinzelte, um richtig zu sich zu kommen, sah sie in seinen Augen Tränen glitzern. »Ich bin gleich zurück.«
»Mit einem Priester? Aber warum denn jetzt?«
»Er muss ihm die Taufe geben.« Fast flüsterte er. »Uns bleibt keine Zeit mehr, mein Herz.«
Ein blutjunger Priester, den Magda nicht kannte, kam in Begleitung eines noch jüngeren Messdieners und taufte das winzige Kindchen auf die Namen Seyfrid Lentz Antonius Herman, und nachdem er die kleine Stirn mit dem Heiligen Wasser gezeichnet hatte, tat er es noch einmal mit dem geweihten Öl für die Sterbenden. Während er die lateinische Segensformel zu Ende sprach, wurde Seyfrid Lentz Antonius Herman Harzer in Magdas Armen kalt.
Magda rannte hinaus in die Kälte. Aber ich habe doch nicht von meiner Mutter geträumt, wollte sie gegen den bleigrauen, schweigenden Himmel schreien. Die Stimme versagte ihr. Der Schrei blieb stumm, und noch während sie vergeblich auf ihn wartete, fragte sie sich: Was maßt du dir eigentlich an? Du mit deinen albernen Träumen, hast du geglaubt, du bist Gott und regierst den Tod?
Die wütend gegen den Himmel ausgestreckten Arme sackten ihr herunter. Zu Tode erschöpft drehte sie sich um und trottete mit gesenktem Kopf ins Haus zurück. Ihre Träume waren bedeutungslos. Der Tod scherte sich nicht um Magda Harzers nächtliche Erscheinungen, sondern tat, was er wollte, raubte Frauen, die auf Erden von ganzem Herzen geliebt wurden, und kleine Kinder, die das Leben nicht einmal hatten kosten dürfen.
»Und die Alten, deren Zeit da wäre, lässt er stehen«, sagte der Großvater. »Erklär mir einer, was für ein verdrehter Sinn darin steckt. Ich wünschte, ich könnte mir eine Leiter bauen, die lang genug ist, um an den Himmel zu kratzen. Mir nichts, dir nichts würde ich da hochsteigen und Lärm schlagen. Gibt’s da einen Rat wie in der Stadt? Dann würde ich Klage einreichen: Du hast den Falschen abgeholt, Tod. Ich bin der, der dir zustand, ein alter, zerknitterter Zausel, kein Kindchen mit Rosenhaut und erst recht nicht die Liebste von meinem armen Lentz, meinem armen Lentz.«
Das Leben mochte schwer und lichtlos sein, doch das, was der Großvater gesagt hatte, war das Gegenteil davon. Magda warf die Arme um ihn. »Weißt du was, Großvater? Ich dachte, ich könnte über nichts mehr froh sein, aber jetzt bin ich froh, dass der Tod dich hiergelassen hat.«
»Hmm-mm«, brummte der Alte und gab noch ein paar weitere unverständliche Laute von sich, während Magda sich an seinen krummen, vogelhaften Leib drückte. »Aber die Jungen sind wichtig. Nicht die Alten. Du musst dem Lentz helfen, dass er nicht den Verstand verliert, hörst du? Damals, als meine Irmel mir gestorben ist, hab ich auch geglaubt, ich verliere den Verstand.«
Er machte eine Pause und senkte die faltigen Lider, als blicke er in sich hinein und suche dort nach längst verblichenen Bildern. »Meine Irmel hab ich geheiratet, als ich fünfzehn und sie dreizehn war«, fuhr er schließlich fort. »Unsere Eltern wollten es so, damit die zwei Brauhäuser zusammenkamen. Ich hab sie angesehen und gedacht: Die ist zu klein, die gefällt mir nicht. Aber mit den Jahren, in denen uns drei Söhnchen geboren und gestorben sind und wir schließlich unsere Sanne bekamen, da gefiel sie mir. Und als der Tod sie mir geholt hat, gefiel sie mir besser als jede Große auf der Welt. Meine Kumpane haben gesagt: Nun ist die tot, nun nimmst du dir eine andere. Aber ich hab gedacht: Eine andere will ich nicht. Nur meine Irmel. Irmel.«
Nein, dachte Magda, das Leben mochte schwer sein, aber es war nicht lichtlos. Sie lehnte ihre Wange gegen die des Großvaters. »Wenn ich kann, dann helfe ich Lentz«, sagte sie. »Ich versuche mein Bestes.«
»Und dem Diether hilfst du auch? Selbst wenn ich manchmal denke, bei dem Diether ist Hopfen und Malz verloren …«
»Das ist es nicht«, fiel ihm Magda kämpferisch ins Wort. »Diether ist nicht schlecht, das sagt Endres auch – er glaubt nur, der Vater hat ihn nicht leiden mögen, und dann hat auch noch ausgerechnet er ihn finden müssen, wie er da lag am Moorweg, mit dem Gesicht voll Blut. Seither ist diese Unrast in ihm, diese Gier, die er nicht zügeln kann.«
»Aha«, bemerkte der Großvater und klang alles andere als überzeugt. »Und was war vorher? Als euer feiner Vater noch lebte, hat ihm da nicht auch schon das Fell
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