Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
längst lichterloh, und wenn du den noch schürst, fehlt uns am Ende das Wasser zum Löschen.« Flüchtig fuhr sie ihm über die Wange, dann ließ sie ihn stehen, weil ein Berg Arbeit auf sie wartete.
»Schwesterchen!«, rief er ihr nach, sodass jeder, der denselben Weg ging, es hören musste. »Auch wenn ich nichts tauge, auch wenn ich zu schlecht bin, um ein Mädchen zu lieben – dich liebe ich!« Seine Stimme war hell und voll Silber. Zwei Bauersfrauen, die ihre Kannen vorbeischleppten, drehten sich tuschelnd nach ihm um.
Tage später hörte Magda, Linhart habe seine Wendin auf die Straße geworfen, denn das undankbare Ding habe ihm Hörner aufgesetzt. Das Mädchen mit dem schwarzen Haar tauchte nie wieder in Bernaus Straßen auf, doch hartnäckig hielt sich das Gerücht, sie wäre ertrunken und striche als Geist des Nachts um die Häuser in der Braugasse.
Diether war nicht der Einzige unter ihren Brüdern, der Magda Sorgen bereitete. Wenn sie Lentz zusah, zog sich ihr das Herz zusammen. Er gab sich den Anschein, als wäre nichts geschehen, tat seine Arbeit, legte sich wie Endres und Großvater ins Zeug, um die Verluste wettzumachen, erschien mit sauberen Händen zum Essen und ging am Sonntag mit der Familie in die Messe. Aber er sprach mit niemandem mehr als das, was ihm aufgezwungen wurde, und lebte unter ihnen wie ein Fremder. Magdas Versuche, mit ihm zu reden, scheiterten. »Lass ihm Zeit«, riet ihr Endres. »Lentz ist stärker als wir alle, er wird schon tun, was für ihn das Richtige ist.«
»Aber ist das nicht hart?«, fragte Magda. »Immer der Starke sein zu müssen, immer der, der das Richtige tut?« Tatsächlich war dies schon immer Lentz’ Rolle gewesen – er war der, an den man sich mit seinen Sorgen wenden konnte, weil er selbst keine hatte oder allein damit fertig wurde. Dass er auch jetzt mit allem allein war, tat Magda in der Seele weh.
Das Leben aber ist ein seltsames Ding. Es ist wie ein Haus, in dem ein Stockwerk einstürzt, während die Bewohner im anderen unbekümmert weiter ihr Gelage halten. In all dem Kummer gab es glückliche Augenblicke, Tage, an denen sich nach dem Regen die Sonne in den Pfützen spiegelte, laue Abendstunden, die Magda und Endres sich stahlen, um bei der Allmende auf ihren Steinen zu sitzen und sich zaghaft eine Zukunft auszumalen.
Am Walpurgistag wurde der Jahrmarkt abgehalten, und anschließend gab es bei der Linde Speis und Trank und Maientanz. In diesem Jahr ließ Endres sich überreden, mit Magda hinzugehen, obgleich er steif und fest darauf beharrte, nicht tanzen zu können. Er hasste derlei Festlichkeiten, auf denen stets zu viel getrunken wurde und selbst die friedfertigsten Gesellen über die Stränge schlugen.
Magda wollte sie auch hassen. Sie bewunderte Endres für seine Ernsthaftigkeit, die durch die süße Musik, die schäumenden Getränke und den Duft der Köstlichkeiten an den Ständen nicht im Mindesten in Versuchung geriet. Um sie selbst war es leider anders bestellt: Von Herzen gern wollte sie besonnen und vernünftig sein, wie es Endres gefiel, doch alles in ihr sehnte sich nach Ausgelassenheit, und ihr Fuß wippte im Takt der Musik, ohne dass sie es verhindern konnte.
Mehrere der Handwerkersöhne, die sie ihr Leben lang kannte, kamen, um sie zum Tanz aufzufordern, doch sie wies jeden zurück, um Endres nicht zu kränken. Dann aber trat ihr Bruder Utz vor sie hin. »Dieser Tanz ist fürchterlich bäurisch«, bekundete er lächelnd. »Aber dass das netteste Mädchen wie ein Gewächs des Schattens sitzen bleibt, ist trotzdem eine Schande.«
Ihrem Bruder durfte sie ja wohl einen Tanz nicht verweigern! Er bot ihr den Arm, sie hängte sich ein und ließ sich auf die Tanzfläche führen. Zwei junge Männer schlugen mit Stöcken ihre Tamburine, dass die Schellen klirrten und Magdas Schenkelmuskeln zuckten. Rings um sie überboten die Burschen sich darin, ihre Tanzpartnerinnen um die Achse zu schwingen, sie dann in der Taille zu packen und in die Lüfte zu schleudern. Dabei jauchzten und lachten sie, dass es weithin wiederhallte. Utz hingegen führte Magda gesittet und sorgsam wie beim Schreittanz. Wenn sie einen ungestümen Schritt setzte oder gar hüpfte, wie der Tanz es vorsah, zwang er sie sanft mit seinem Arm in die Figur zurück. Es war nicht ganz so vergnüglich wie ein echter Hoppeldei, aber sie genoss die Galanterie, mit der Utz sich ihr widmete, und die staunenden Blicke, die ihnen folgten. Ein wenig mochten sie wie ein Paar vornehmer
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