Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
lieb.«
»Von Montpellier bis Bologna?«
»Das ist so weit nicht, Maddalena bella . Von den zwölf Toren Jerusalems bis in das eiserstarrte Turku, das kommt eher hin.«
»Und wenn du alt bist und dir die Zähne ausfallen, hast du mich dann vergessen?«
»Wer weiß denn das?«
»Kannst du nicht lügen?«
»Nein. Nur dir sagen, dass dich zu vergessen sich in diesem Augenblick so verrückt und unmöglich anfühlt, wie das Atmen zu vergessen und daran zu sterben.«
»Stirbt man, wenn man zu atmen vergisst?«
Er küsste sie. »So etwas Dummes tut kein Mensch, weshalb wir nichts darüber wissen. So, wie wir nicht wissen, ob irgendein Kerl ein Riesendummkopf ist und sein süßes Mädchen aus Bernau vergisst.«
Sie schlang die Arme um ihn und gab ihm den ganzen Orkan, der in ihr tobte, mit Lippen und Händen, Hüften und Schenkeln, mit ihrer ganzen Kraft, die, wie jeder ihrer Brüder sagte, für ein Mädchen leidlich unglaublich war. Den hässlichen Stoff der Kutte hatte sie ihm schon einmal zerrissen, am Hals, wo sich, wenn sie nur wild genug zerrte, die Linie seines Schlüsselbeins zeigte, die sie hinreißend fand.
Wie war es möglich, dass Männer Schultern und Schlüsselbeine hatten wie Frauen und ihnen dennoch kein bisschen ähnlich sahen? Und wie war es möglich, dass man etwas so lieb hatte, etwas schöner und berauschender fand als die schillernden Nebel über Frühlingsmooren und die rote, windzerzauste Heide? Wie war es möglich, dass man etwas vor allem Schmerz und aller Zerstörung behüten wollte und sich dennoch wünschte, es zu kratzen und zu beißen und in die Makellosigkeit seine Spur zu prägen? Sie biss ihn in die Schulter. Er unterdrückte den Zischlaut, den sie schon kannte, und pflückte ihren Kopf von sich ab. Magda musste lachen.
»Was bist du? Eine Schlange? Rund um Bernau soll es vor Nattern wimmeln.«
»Tut es«, bestätigte Magda mit schuldlosem Augenaufschlag, während sie sich wünschte, sich wieder auf ihn zu stürzen.
»Aber die Bisse von Mädchen, sagen die Quacksalber, sind giftiger als die von Schlangen.«
»Allerdings, mein Herr. Gegen uns Mädchen aus Bernau sind sämtliche Schlangen Regenwürmer. Wenn eine Schlange Euch beißt, müsst Ihr sterben. Beißt Euch aber eine von uns Bernauerinnen, so müsst Ihr leben und uns bei jedem Schritt um Euren Hals tragen.«
Er lachte und küsste ihr Ohr. »Um ehrlich zu sein, ich kann mir Schlimmeres vorstellen.«
»Stell es dir lieber nicht vor!«
Sie balgten sich, hielten sich, rollten im warmen Gras umeinander. Magda war verrückt danach, ihm über die schlanken Flanken zu streichen und dann weiter über die Muskeln von Gesäß und Schenkeln. Ihre Handflächen waren süchtig nach diesen schönen festen Linien, wollten streicheln, schlagen, sich festkrallen, und wenn er versuchte, sich zu entziehen, kitzelte sie ihn, bis er vor Lachen in ihren Armen seine Kapitulation erklärte. Dann nahm sie sein Gesicht in die Hände und sah ihn sich an, wie sie es stundenlang hätte tun können. Seine Augen waren nicht mehr so tief umschattet wie zu Beginn des Sommers, und das lächelnde Funkeln darin wurde täglich kühner. Es war ihm elend ergangen, das erkannte sie erst jetzt, und mit jedem Tag, den er sich erholte, gefiel er ihr besser. Er war ein Mann, dem es stand, wenn es ihm wohl erging, und ob er davon hochmütig wurde oder nicht, war ihr egal. Sie wollte ihn überschütten, bis er vor Wohlergehen seufzte.
Das Lager, das sie vor Blicken schützte, hatten sie sich unter den Zweigen der Eichen und Schlehen bereitet, hatten Wurzeln gebrochen und trockenes Laub aufgeschichtet, um ihre Liebe so weich wie möglich zu betten. Wenn es regnete, irrten sie durch Straßen, von Vordach zu Vordach, klammerten sich tropfnass aneinander und trockneten einer des anderen Gesicht mit bloßen Händen.
Zuweilen wagten sie sich in die Hohle Birne, in den Schutz des Wirtes Michel, der hinter seinem Schanktisch schmunzelte, Wein und Käse servierte und schwieg. Es war ein übler Sommer, vielleicht der übelste von allen. Dennoch waren es die leuchtenden Tage, die im Gedächtnis bleiben würden, leuchtend selbst in strömendem Regen, als hätte die Sonne alle Tage vom Himmel gebrannt.
Mit ihrer Arbeit kam Magda in diesem Sommer gut voran, wenn auch die Lage ihr nichts leicht machte. Sie fühlte sich stark und ihrem Leben gewachsen, weil sie ihm nicht mehr allein die Stirn bieten musste. Ihr Schlaf war in den meisten Nächten erholsam, seit sie wusste: Wenn
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