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Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Gembri
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Hagelkörner, die sich auf ihrer Handfläche gesammelt hatten.
    „Enva!“, rief sie, doch die Alte schnitt ihr das Wort ab. Laut schreiend, um den Sturm zu übertönen, befahl sie dem Mädchen, zu schweigen und alle Kraft zum Laufen zu verwenden.
    „Wir müssen ein Bauernhaus erreichen, koste es, was es wolle! Selbst wenn dieser schreckliche Hagel bald aufhört, so können wir doch unmöglich unter strömendem Regen die Nacht verbringen. Das Dorf erreichen wir heute wahrscheinlich nicht mehr, vor allem, da man die Hand ja kaum vor Augen sehen kann!“
    Reeva verkroch sich noch tiefer in ihren Umhang und versuchte, ihren Kopf mit der wollenen Kapuze zu schützen. Längst waren ihre Kleider schwer vor Nässe und wickelten sich immer wieder um ihre Beine, sodass sie mehrmals fast gestürzt wäre. Der eben noch staubige Boden verwandelte sich binnen weniger Augenblicke in tiefen Schlamm, der sich an den Füßen festsaugte und das Mädchen noch stärker hinken ließ.
    Plötzlich blieb Enva abrupt stehen, sodass Reeva gegen ihren Rücken stolperte. Endlich sah auch sie es: Zwei rechteckige Lichter schimmerten ihnen durch die dichten Regenschleier entgegen.
    „Fenster, ein Bauernhaus! Gott sei’s gedankt! Wir werden wohl im Stall übernachten dürfen.“ Heftig hämmerte Enva gegen die Tür, bis diese von einem Mann mit struppigem, rotbraunem Bart aufgerissen wurde. Ein Schwall Wärme flutete den beiden Heilerinnen entgegen, vermischt mit dem Duft von etwas Gekochtem; leise vernahm man das Krähen eines Säuglings.
    Reevas Magen knurrte, und sie zitterte vor Kälte. Bittend sah sie den Bauern an, während Enva sprach: „Wir sind zwei Heilerinnen auf Wanderschaft und wurden vom Unwetter überrascht. Hättest du nicht irgendwo einen trockenen Winkel für uns, in dem wir die Nacht verbringen können?“
    „Nein“, kam es knapp zurück. „Solche wie euch will ich nicht in meinem Haus haben. Schert euch weg!“ Mit diesen Worten machte er Anstalten, die Tür wieder zu schließen.
    Verzweifelt trat Reeva einen kleinen Schritt vor und stellte ihren Fuß in den Spalt. „Bitte, erlaube uns doch wenigstens, in deinem Stall das Ende des Unwetters abzuwarten. Wir werden dir diese Güte ganz gewiss lohnen können!“
    Ihr Kopf wurde von der Wucht des Schlages zurückgeworfen, der sie an der Wange traf. „Bist es wohl nicht gewohnt, auf die Worte eines ehrlichen Mannes zu hören, du dreckiges Ding? Soll ich dir beibringen, was Anstand bedeutet?“, brüllte der Bauer. Ein weiterer Schlag traf sie am Mund und ließ sie auf den durchweichten Boden fallen. Mit schreckgeweiteten Augen kroch sie rückwärts, aus der Reichweite seiner riesigen Fäuste und klobigen Schuhe.
    Enva stürzte mit einem rauen Aufschrei auf sie zu, um ihr aufzuhelfen, doch der Bauer schien das für einen Angriff auf sich zu halten. Auch die Greisin bekam seine Fäuste zu spüren, ehe er sie von sich schleuderte und vor den beiden ausspuckte. „Jetzt verschwindet, ihr abscheulichen Weiber, oder ich hetze die Hunde auf euch!“ Und ohne abzuwarten, stieß er einen schrillen Pfiff aus.
    Instinktiv wirbelte Reeva herum und rannte los, so schnell ihr verkümmertes Bein es erlaubte. Fast glaubte sie, im Heulen des Windes das Hecheln geifernder und zähnefletschender Hunde zu hören – da ergriff jemand ihre Hand, sodass sie stehenbleiben musste. Als sie sich umdrehte, sah sie Enva, die sich schwer atmend vorbeugte.
    „Ist schon gut“, keuchte die Alte, „es war nur eine leere Drohung.“
    Reeva schüttelte hilflos den Kopf. „Aber warum? Wir haben ihm doch nichts getan!“
    „Menschen wie du und ich müssen eben lernen, mit dergleichen zu leben“, erwiderte Enva, während sie dem Mädchen das Blut vom Mund wischte; danach stemmte sie sich wieder gegen die Sturmböen.
    Bald hatte Reeva jegliches Zeitgefühl verloren, und es schienen noch mehrere eisige Stunden zu vergehen; aber schließlich erreichten sie tatsächlich ein Dorf. Die beiden hatten Glück: Schon im ersten Haus, an dessen Tür sie klopften, wohnte eine gutmütige Frau, die den beiden durchnässten Elendsgestalten einen Platz im Stall anbot. Sie erhielten sogar je eine Portion heiße Suppe, aber noch ehe Reeva ihre Schüssel geleert hatte, war sie im Stroh eingeschlafen.
     
    ***
     
    Der neue Tag dämmerte klar und wolkenlos herauf. Durch die kleine Fensteröffnung des Stalls kam ein frischer Luftzug, der nach dem heftigen Regen des Vortages roch. Als die beiden Heilerinnen auf den Dorfplatz

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