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Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Gembri
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Vogel zum Singen zu bringen. Und während allem, was sie tat, rieb sie sich immerfort die Hände, die seit dem gestrigen Tag nicht mehr richtig warm geworden waren. Allmählich glaubte sie, in diesem Schloss nie ohne klamme Finger sein zu können, genauso wie sie wohl nie mehr das Geräusch von klappernden Absätzen auf Stein loswerden würde. Längst konnte sie das geschnitzte Muster im Bettpfosten mit geschlossenen Augen nachzeichnen, so oft war ihr Finger nun schon der Rille gefolgt. Sie wusste auch auswendig, wie viele Schritte das Zimmer in der Länge und in der Breite maß, und wie viele Gitterstäbe den reglosen Vogel umgaben.
    Irgendwann setzte sie sich ans Fenster und schaute auf den Schlosspark hinaus. Die Bäume und Hecken waren ebenso von Menschenhand verändert wie der Vogel; doch wenn Reeva die Augen schloss und auf das Rauschen der Blätter horchte, konnte sie sich vorstellen, sie wäre wieder im Wald.
    Noch zweimal kam Steingesicht und brachte Reeva etwas zu essen, aber der Heißhunger vom Morgen war dem Mädchen vergangen. Der Mond ging auf, und mit ihm kam eine weitere Nacht auf dem Boden neben dem Ungeheuer von einem Bett …
     
    ***
     
    Noch ein Tag der Eintönigkeit sollte vergehen, bis der Prinz Reeva endlich zu sich rufen ließ. Diesmal kannte sie den Weg zu seinen Gemächern bereits auswendig, doch anders als bei ihrem letzten Besuch fand sie den Jungen nicht in seinem Bett liegend vor. Er befand sich in dem Zimmer neben seinem Schlafgemach und durchmaß es immer wieder mit rastlosen Schritten, als das Mädchen eintrat. Insgeheim fragte sich Reeva, ob es wohl jedem der Schlossbewohner so ergehen mochte wie ihr – und ob wohl auch der Prinz einen kleinen Vogel besaß, der weder tot war, noch lebendig?
    Abwartend blieb sie stehen und folgte den Bewegungen des Jungen mit ihrem Blick. Die Blässe war aus seinem Gesicht verschwunden, doch um seine Augen lagen immer noch diese dunklen Schatten, und in seinen Iriden glomm ein kaltes Feuer. Lange beachtete er Reeva überhaupt nicht; dann, plötzlich, wandte er sich zu ihr und fragte übergangslos: „Wie ist dein Name, Heilerin?“
    Reeva antwortete mit unsicherer Stimme; sie wusste nicht, ob sie an der Tür stehen bleiben musste oder sich setzen durfte. Zögernd machte sie einige Schritte in den Raum hinein und hielt wieder inne, als der Prinz erneut das Wort an sie richtete.
    „Reeva also. Stimmt es, dass du viele Monde lang allein im Wald gelebt hast, wie es mir mein Leibdiener sagte?“
    „Ja, das ist die Wahrheit.“
    „Erzähle mir davon!“, forderte der Prinz und fügte dann herrisch hinzu: „Ich befehle es!“
    Enttäuscht sah das Mädchen ihn an. Nach einem kurzen Schweigen fragte es leise: „Warum hast du das gesagt?“
    „Ich bin der Thronfolger!“, brauste der Prinz auf, und seine Augen blitzten zornig. „Ich kann befehlen, was ich möchte!“
    Wie Reeva es schon aus ihrem Traum kannte, reckte er trotzig das Kinn vor, doch diesmal versuchte er nicht, seinen Ärger zu verbergen. Ruhig erwiderte sie seinen Blick und meinte: „Gerne hätte ich dir davon erzählt. Nun, da du es befohlen hast, werde ich davon sprechen, wie ich Fell gegerbt und Fisch gekocht habe, und wie viele Schritte meine Höhle maß. Hättest du darum gebeten, so hätte ich dir von dem ersten Reif erzählt, der den Wald verzauberte. Ich hätte versucht, zu beschreiben, wie der Frühling duftet und wie es aussieht, wenn junge Vögel zum ersten Mal das Fliegen wagen. Und ich hätte davon gesprochen, wie es ist, von einem Fuchs wachgeküsst zu werden.“
    Stille breitete sich im Raum aus, als der Prinz zum Fenster trat und hinausblickte. Reeva konnte sehen, wie sich dabei seine rechte Faust immerzu öffnete und wieder schloss, öffnete und schloss. Endlich sprach er, ohne sich umzudrehen, und seine Stimme klang anders als zuvor: „Erzähle mir auch von diesen anderen Dingen, Reeva.“ Und dann, wieder nach einer kleinen Weile: „Bitte.“ Er wandte sich zu ihr um.
    Reeva lächelte. Und sie erzählte. Während sie das tat, ging sie auf einen der Stühle zu und setzte sich; auch der Prinz gab sein wildes Umherwandern auf und nahm ihr gegenüber Platz. Aufmerksam folgte er ihren Worten, und langsam, ganz langsam verschwand das eisige Glühen aus seinen Augen. Als Reeva anschaulich die tollpatschigen Flugversuche der Vögel und das Toben des Fuchses im ersten Schnee beschrieb, glaubte sie sogar ein kleines Lächeln um seine Mundwinkel spielen zu

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