Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
Prinzen dazu gebracht hast – doch das ist einerlei, du kannst dich glücklich schätzen!“
Immer noch schwieg Reeva und wickelte sich unbehaglich eine Haarsträhne um den Zeigefinger. Erinnerungen an den Wald tauchten in ihrem Kopf auf: die mächtigen, sich im Wind wiegenden Baumwipfel, deren Blätterrauschen Reeva so oft in den Schlaf gesungen hatte. Ihre Höhle mit den getrockneten Kräuterbündeln, die von der Decke hingen, und der nie erkaltenden Herdstelle. Der Wald im Herbst, mit seinen verschwenderischen Farben; und im Frühling, wenn sich überall die ersten grünen Spitzen zeigten. Doch so wenig sie auch vom König und vom Prinzen wissen mochte – sie bildete sich nicht ein, den Befehl des Thronfolgers verweigern zu können.
Langsam sammelte sie ihre Habseligkeiten ein, verschnürte ihr Bündel und richtete sich auf. „Ich bin fertig, wir können gehen“, sagte sie leise.
***
Die ersten Stunden im Schloss zogen wie von grauem Nebel verschleiert an Reeva vorüber. Sie hatte gehofft, vom Prinzen persönlich empfangen zu werden und ihm einige Fragen stellen zu dürfen, aber sie wurde enttäuscht.
Bevor sie das ihr zugewiesene Schlafgemach überhaupt betreten durfte, wurde sie in einen kleinen Raum gebracht. Dort musste sie ihre armselige Kleidung ablegen und sich gründlich in einem großen hölzernen Zuber waschen. Eigentlich hätte sie das schön finden können, denn sie kam selten in den Genuss eines heißen Bades; doch während sie ihren Körper von dem Schmutz der engen Gassen reinigte, spürte sie die Blicke der schweigenden Dienstmägde wie kalte Stiche auf ihrer Haut. Nach dem Waschen kämmte eine von ihnen mit geübten Handgriffen Reevas Haar aus; oft musste sie dabei eine Schere zu Hilfe nehmen, um verfilzte Strähnen und Knoten zu entfernen.
Nach dieser unangenehmen Prozedur wurde Reeva von den Dienerinnen in Kleider gesteckt, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Ihre eigenen, mehrmals geflickten Kleidungsstücke aus grobem Stoff hatten einzig und allein den Zweck erfüllt, sie zu wärmen. Dabei mussten sie möglichst praktisch sein und durften sie bei ihrer Arbeit nicht behindern. Diese Kleider aber, die eine der Dienstmägde herbeitrug, waren allein dafür gemacht, zu gefallen. Staunend strich Reeva über den feinen Stoff und fuhr mit dem Finger die zierlichen Stickereien nach. Kaum hatten ihr die Dienerinnen jedoch das Gewand angelegt, verflog ihr Entzücken: Obgleich sie sowohl ein Über- als auch ein Unterkleid trug, fühlte sie sich nackt und bloßgestellt. Sie wünschte sich ihren bequemen Kittel zurück, der sie weder beengte, noch beim Gehen störte. Unbeholfen drehte sie sich vor einem Spiegel hin und her: Sie war nicht mehr als ein dürres, mittelloses Mädchen in einem grellbunten Kostüm.
Die Toilette war nun beendet, und eine der Dienstmägde bedeutete Reeva, ihr zu folgen. Mit steifen Bewegungen eilte diese der Frau hinterher, die einige Gänge durchquerte und schließlich eine Tür öffnete. Dahinter befand sich ein Schlafgemach – Reevas Schlafgemach. Ungläubig trat das Mädchen ein, während die Dienerin bereits das Bündel und die alten Kleider in einer bemalten Truhe verstaute. Dann stellte sie sich aufrecht neben die Tür und heftete ihren Blick auf Reeva. Sie musste sich wahrscheinlich fragen, was diese dahergelaufene Person in einem solchen Zimmer zu suchen hatte, doch keinerlei Neugierde war in ihren Augen zu entdecken: Ihr Gesicht war so regungs- und ausdruckslos, als wäre es aus Stein gemeißelt.
Langsam wurde es Reeva unter dem Starren der Dienerin unbehaglich. Ein Moment verging, ehe sie begriff, dass die Magd auf weitere Anweisungen wartete; dann sagte sie mit vor Unsicherheit dünner Stimme: „Danke für deine Hilfe. Ich glaube, ich brauche nichts weiter.“
Mit einem kurzen Nicken verließ Steingesicht das Gemach, ohne auch nur ein einziges Geräusch zu verursachen.
Es war sehr still in dem Raum. Als Reeva einige Schritte tat, hörte sich das Klappern ihrer neuen Schuhe unnatürlich laut an, genauso das Rascheln ihres Kleides. Sie bemühte sich, möglichst leise aufzutreten, und so dauerte es eine Weile, bis sie das große Bett in der Mitte des Zimmers erreicht hatte. Es war zwar nicht so prächtig wie das des Prinzen, doch dass sie selbst darin schlafen sollte, kam Reeva trotzdem unglaublich vor. Sie streckte die Hand aus und berührte einen der hohen Bettpfosten. Ihr Zeigefinger folgte der fein gezogenen Linie, die irgendein fähiger
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