Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Gembri
Vom Netzwerk:
die Lippe. Sie hatte sich warm geredet und die Gelegenheit genutzt, dem Prinzen alles an den Kopf zu werfen, was sie schon so lange zurückhielt – sie ahnte, dass sie eine der wenigen war, die sich das leisten konnten. Doch während sie gesprochen hatte, war ihr plötzlich die Vision, die sie im Frühjahr gehabt hatte, vor Augen erschienen: Der Mann auf seinem edlen Pferd … das Reh … die Schreie. Und auf einmal wusste sie, was diese Bilder zu bedeuten hatten.
    Innerlich schimpfte sie sich unbeherrscht und dumm. Wieso hatte sie dem Prinzen davon erzählt, wieso nur? Hatte sie sich nicht selbst geschworen, vorsichtig zu sein?
    Unbehaglich sah sie zu ihm hinüber. Er hatte ihrem Ausbruch mit großen Augen gelauscht, nun fragte er verblüfft: „Woher weißt du das? Der Unfall meines Vaters. Wie kannst du das wissen?“
    Reeva musste schlucken. „Ich stelle es mir eben so vor.“
    „Du bist ein seltsames Mädchen“, gab der Prinz kopfschüttelnd zurück, aber zu ihrer Erleichterung beließ er es dabei. Nach kurzem Schweigen fragte er: „Denkst du, ich bin als König gut genug, obwohl ich mir so viele Sorgen mache?“
    Überrascht lachte Reeva auf. „Das fragst du mich? Ausgerechnet mich?“ Doch dann wurde sie wieder ernst. „Ja, das denke ich – schlimm wäre es, wenn du dir keinerlei Sorgen machen würdest.“
    ***
     
    Mit dem Frühling kamen Veränderungen in das Schloss und somit auch in Reevas Leben. Zunächst fielen sie ihr nicht weiter auf – sie zeigten sich in kleinen Dingen, wie in einem Satzfetzen, den sie auf dem Weg zu den Gemächern des Prinzen aufschnappte, oder darin, dass sie nun etwas seltener dorthin gerufen wurde. Doch irgendwann konnte sie ihre Augen nicht mehr länger davor verschließen.
    Beim Frühstück verschüttete Jacobs Mutter die Milch, die sie ans Bett ihres verschlafenen jüngsten Sohnes hatte bringen wollen. Der Becher rutschte ihr einfach aus der Hand und rollte klappernd über den Boden, und als die Frau sich danach bückte, schien sie mitten in der Bewegung zu erstarren. Sie stand da, den Rücken gebeugt und den Kopf in die Hände gestützt, minutenlang.
    Reeva hob leise den Becher auf und berührte Jacobs Mutter an der Schulter. „Was ist mit dir?“, fragte sie unsicher, aber da schüttelte die Frau den Kopf, als wollte sie sagen: Nichts. Frag nicht. Dann nahm sie den Becher, um frische Milch zu holen.
    Der Prinz empfing das Mädchen an diesem Tag mit leuchtenden Augen und einem vor Aufregung erhitzten Gesicht. Reeva konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals in einer derartigen Stimmung erlebt zu haben. Stumm setzte sie sich auf einen Stuhl und sah den Jungen an, nicht sicher, ob sie die Antwort auf ihre noch unausgesprochene Frage überhaupt hören wollte. Doch der Prinz nahm ihr diese Entscheidung ab.
    „Es gibt Krieg“, verkündete er, und in seiner Stimme schwang ein Stolz mit, der Reeva im Zusammenhang mit seinen Worten überraschte.
    „Was bedeutet das?“, fragte sie, denn nun war es ohnehin schon zu spät.
    „Es bedeutet“, erklärte der Prinz und richtete sich kerzengerade auf, „dass wir ein neues Gebiet erobern wollen. Erobern werden. Mein Vater hat sich mit dem König des Nachbarlandes verbündet, und mit unseren vereinten Streitkräften wird es ein Kinderspiel sein, unsere gemeinsamen Nachbarn und Feinde zu besiegen.“
    „Ein Kinderspiel …“, wiederholte Reeva tonlos.
    „So ist es! Und nun musst du gehen – ich habe heute keine Zeit für dich. Es gibt viele Besprechungen und Verhandlungen mit Abgesandten; du musst verstehen, dass ich jede Menge zu tun habe.“
    ***
     
    Reeva machte sich auf die Suche nach Jacob. Ihr schwirrte der Kopf von all den neuen Dingen, die sie soeben gehört hatte – es sollte Krieg geben. Erobern. Streitkräfte. Feinde … besiegen. Der Prinz schien glücklich darüber zu sein, und nur zu gerne hätte sie sich mit ihm gefreut; doch diese Neuigkeit verwirrte sie nur und machte ihr Angst.
    Sie fand den Stallburschen im Verschlag der Fuchsstute, die er immer heimlich ritt: Ganz dicht stand er bei dem Pferd, hatte einen Arm über dessen Rücken gelegt und die Stirn gegen die rostbraune Flanke gepresst.
    Er drehte sich nicht um, als das Mädchen hinter ihn trat und sanft die Mähne des Tieres streichelte. Ab und zu schnaubte eines der anderen Pferde oder schlug mit dem Huf gegen die Bretterwand, doch trotz allem war es sehr still.
    Endlich hob Jacob den Kopf und sah Reeva an. Erschrocken fragte sie: „Was ist

Weitere Kostenlose Bücher