Das Mädchen aus Mantua
sie dann für die Zusammenkünfte mit Vitale eine neue Bleibe hatte? Ach nein, das war ja damit verknüpft, dass sie Vitale heiratete. Als ehrbare Ehefrau konnte sie Galeazzo unter keinen Umständen weiterhin treffen, so ein Verhalten wäre gar zu verwerflich.
Arcangelas nächster Seufzer kam aus tiefstem Herzen.
»Hast du Kummer, meine Blume?«, wollte Galeazzo wissen.
»Nein«, sagte sie wortkarg.
»Wirklich nicht?« Er drückte sich an sie, was Arcangela wieder einmal Gelegenheit zu der Feststellung gab, dass seine Haut viel heller war als die von Vitale und sein Körper um einiges schmaler. Aber er war nicht weniger begehrenswert! Ach, wäre er es nur, dann hätte sie eine Entscheidung treffen können!
»Es ist alles bestens«, log sie.
»Warum seufzt du dann dauernd?«
»Es liegt an der Hütte. Sie stinkt.«
»Letztens sagtest du noch, du wollest lieber in einer erbärmlichen Hütte mit mir liegen als bei schlechtem Wetter auf mich zu verzichten.«
Sie konnte nicht umhin, sich daran zu erinnern. »Dass sie aber so sehr stinken würde, konnte kein Mensch ahnen«, meinte sie schlecht gelaunt.
Nun war es ihm, zu seufzen. »Ich sehe schon, wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen. Was hältst du davon, mit mir nach Venedig zu gehen?«
»Nach Venedig?«, echote sie verschreckt. »Da lebt mein Vater! Den Teufel werde ich tun, mich in seine Nähe zu begeben! Sobald er meiner ansichtig wird, versucht er sofort, mich ins Kloster zu stecken! Oder mir einen widerlichen alten Kerl als Ehemann anzudienen! Meine Freiheit kann ich nur behalten, solange ich zum Haushalt meiner zwar jüngeren, aber immerhin verwitweten und somit höchst ehrbaren Stiefschwester Celestina zähle.« Sie zögerte, dann fügte sie mit leiser Berechnung hinzu: »Oder ich verheirate mich mit einem Mann meiner Wahl, dann bin ich seinem Einfluss entzogen.«
Zu ihrer stillen Entrüstung kam keine Erwiderung. Nichts, nicht einmal ein Seitenblick.
Schließlich meinte sie griesgrämig: »Was hast du in Venedig vor? Und wann willst du dorthin ziehen?«
»Ich dachte daran, mich dort als Arzt niederzulassen. Sobald ich promoviert habe. Meine Disputation ist für den Beginn des kommenden Jahres geplant. Spätestens in einem halben Jahr dürfte ich ein frisch gebackener Doktor sein.«
»Oh, so bald schon.« Mit einem Mal fühlte sie sich sehr verzagt. »Muss es denn Venedig sein? Gefällt Padua dir nicht mehr?«
»Nun ja, zum Studieren ist es unerlässlich, hier zu leben, und tatsächlich ist es eine hübsche Stadt, aber im Vergleich zu Venedig doch recht klein.«
»Und was ist mit anderen Städten? Solchen, die größer sind als Padua?«
»Welche denn zum Beispiel?«
»Na, es gibt doch viele, oder? Mailand, Genua, Neapel.«
»Hm, das ist wohl wahr«, meinte er nachdenklich. »Vielleicht sollte ich tatsächlich einen anderen Ort in Erwägung ziehen. Zumal ich ja, genau wie du, unabhängig von meinem Vater sein will. Das ließe sich bestimmt leichter bewerkstelligen, wenn die Entfernung zwischen ihm und mir größer ist.« Er dachte nach. »Allerdings wäre sie dann auch zwischen dir und mir größer, oder? Es sei denn, du wärest gewillt, mich in eine jener Städte zu begleiten.«
Dieser Vorschlag hätte weit überzeugender klingen können, wäre er mit einer Erklärung einhergegangen, wie sich ihre gemeinsame Zukunft gestalten sollte. Nicht unbedingt in Form eines Heiratsantrags oder einer Liebeserklärung, aber doch wenigstens … irgendetwas.
Mit einem Mal überkam Arcangela das Bedürfnis, zu weinen, obwohl sie sonst nicht sonderlich rührselig veranlagt war. Sie überwand diese Gefühlsaufwallung jedoch umgehend. Das fehlte noch! Wegen eines Mannes Tränen vergießen – niemals!
Sie entschied, dass ihre Verstimmung mit dem Regen zusammenhing. Bei diesem elenden Wetter musste man ja trübsinnig werden. Höchste Zeit, ihre Laune mit angemessenen Methoden aufzuheitern.
Gemächlich schob sie ihr Knie zwischen Galeazzos Schenkel, worauf dieser sofort reagierte. »Du bist unersättlich«, sagte er. Es klang begeistert.
So liebte sie ihn! Schlagartig war ihr Kummer vergessen. Bis zum Beginn des nächsten Jahres blieb noch reichlich Zeit.
Am nächsten Tag
Um die Zeit des Terzläutens ritt Galeazzo hinaus aufs Land, wo er sich mit Timoteo und William treffen wollte. Auf einem der Pachthöfe von Timoteos Vater sollte heute ein Schwein geschlachtet werden. William hatte dringend darum ersucht, bei einer solchen Schlachtung zugegen
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