Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest

Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest

Titel: Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
Vom Netzwerk:
Herausforderung sein, meine Liebe?«
    »Ich könnte dich herausfordern, aber es wäre ein Unternehmen ganz anderer Art.«
    »Ich werde sie mir ansehen und mich danach entscheiden.«
    »Wo bleibt dein Sinn für Abenteuer, Joseph?«
    Leises Lachen und Rascheln war zu hören, Charlas Fersen flogen hoch und verschwanden. »Ich würde es anders sagen, meine Liebe«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Je älter ich werde, desto schwerer fällt es mir, mich mit weniger als dem Besten zufrieden zu geben.«
    »Trotzdem hörst du nicht auf, Vergleiche anzustellen.«
    »Nur um es uns beiden zu bestätigen. Du machst es genauso.«
    »Wie bezaubernd! Einfach bezaubernd!«
    Kirby brachte die Ereignisse über ihm sowie alle anderen gleichzeitig ablaufenden kulturellen Phänomene mit schweißnassen Fingern zum Stillstand und kroch unter dem Bett hervor. Charla hatte ihr Kleid ausgezogen. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen, ihre Augen waren geschlossen und sie lächelte mit halbgeöffnetem Mund. Ihr Ausdruck ließ Josephs formellen Anzug höchst fehl am Platz erscheinen. Kirby ging zur Tür, drehte sich um und betrachtete sie nochmals. Ja, er konnte den Bruchteil einer Sekunde riskieren und die Tür öffnen, ohne daß sie es bemerkten. Es gelang, und wieder in das rote Licht getaucht, schob er die Tür weit genüg auf, um hinauszuschlüpfen. Sobald er im Korridor war, stemmte er sich dagegen und schob sie wieder zu. Sie schnappte nicht ein, aber er hatte sie fast ganz geschlossen. Er benutzte ein paar Sekunden Wirklichkeit, um die Türen der übrigen vier Kabinen zu überprüfen. Drei Kabinen waren leer. Eine Tür war versperrt.
    Kirby dachte nach. Angespannt wartete er fünf Minuten in realer Zeit, stets gefaßt, sie auszuschalten, falls jemand kam. Danach kehrte er ins Rot zurück. Die Tür zur Kapitänskabine war nicht ins Schloß gefallen. Er zog sie auf. Der Anzug lag nicht auf dem Boden, sondern mit peinlicher Genauigkeit über einen Stuhl gefaltet. Kirby warf erregt einen Blick auf das Bett und war damit von den letzten Resten der Charla-Besessenheit ein für allemal geheilt. Er hatte große Bedenken gehegt, ungesehen eine Szene zu beobachten, die so verworfen war, daß ihm dabei das Blut in den Adern gerann. Er hatte sich alles Mögliche vorgestellt, nicht aber billige Komödie: zwei Clowns, die einander mit bombastischen Blasen bearbeiteten, Harpo, der seinen Spazierstock als Hupe benütze, ein plumper Sturz auf das Hinterteil wie auf einem Standfoto aus einem Stummfilm der Keystone-Cops. Der tödliche Ernst der handelnden Personen machte das Ganze noch lächerlicher.
    Während er die weiche Bleihülle manipulierte, die Josephs Straßenanzug war, wurde ihm klar, daß, entgegen herkömmlicher Meinungen, das Beobachten derartiger Aktivitäten viel weniger aufregend war als ein Schachturnier. Während er die Taschen nach Schlüsseln durchstöberte, wäre er beinahe in unbändiges Lachen ausgebrochen, wenn ihm nicht ein ernüchternder Gedanke gekommen wäre. Als er und Bonny Lee - hatte es auch ausgesehen wie ...
    Mit sarkastischer Verzweiflung gestand er sich ein, daß es wahrscheinlich genauso war. Damit war er der menschlichen Rasse wieder um einen Schritt nähergekommen, diesen schwitzenden, lächerlichen, anmaßenden, sich selbst betrügenden, ehrgeizigen, in ihrer Sinnlichkeit gefangenen Menschen.
    Die Schlüssel - es waren sechs - hingen an einem goldenen Ring. Er ließ sie in der Luft hängen, während er den Anzug ordentlich zusammenlegte und flachdrückte, indem er sich mit den Handflächen dagegenstemmte. Er nahm die Schlüssel, stieß die Tür auf und schloß sie wieder, ohne die bemerkenswert sportliche Charla und den vergnügungssüchtigen Joseph direkt anzusehen.
    Es mußte ein kleiner Schlüssel sein; der zweite, den er probierte, paßte. Er riß die Tür auf. Betsy starrte ihn verblüfft an. Sie hatte an der verschlossenen Luke gestanden und sich bemüht, durch das dicke Glas hinauszusehen. Die braunen Haare waren zerwühlt, das Gesicht war blaß und ungeschminkt. Sie trug einen hellen, orangefarbenen Overall aus Cordsamt mit kurzen Ärmeln, einem Reißverschluß und einer großen, silbernen Schnalle. Die Farbe stand ihr nicht und der Anzug paßte ihr nicht.
    »Was in aller Welt ...?«
    Er legte einen Finger auf die Lippen, schloß die Tür und wollte sie zusperren, als er den Bolzen entdeckte und ihn vorschob. Als er sie wieder ansah, versuchte sie ein Lächeln, aber aus ihren Augen strömten Tränen. Er nahm

Weitere Kostenlose Bücher