Das Maedchen und der Magier
wirst es merken, mein Freund. Du wirst, es merken.
Mittwoch
Rosalia Suarez erschien am nächsten Morgen kurz vor neun zur Arbeit. Jenna saß am Schreibtisch und versuchte, sich den vielen Champagner vom Vorabend nicht anmerken zu lassen.
Die junge Frau beugte sich vor. „Du siehst fürchterlich aus."
"Danke", erwiderte Jenna und wünschte einmal mehr, das so verlockend perlende Getränk wäre niemals erfunden worden. „Ich fühle mich sogar noch fürchterlicher."
Rosalias leises Lachen dröhnte durch ihren Kopf.
„Bitte!" Jenna hielt sich die Ohren zu. „Hab Gnade mit mir."
„Es ist ihr erster richtiger Kater", rief Liz von ihrem Schreibtisch am Empfang.
„Und ihr letzter", schwor Jenna sich. „Alkohol sollte wie Zigaretten mit einer Warnung versehen werden."
„Man muss alle Dinge in Maßen genießen", sagte Grace ernst.
Maßhalten, davon konnte gestern abend keine Rede sein, dachte Jenna. Sie hatte immer die Frauen beneidet, die das Licht ausschalten und sich sofort erotischen Phantasien hingeben konnten. Ihre eigenen Träume hatten sich leider meist mit weniger Aufregendem beschäftigt.
Nein, maßgehalten hatte sie ganz bestimmt nicht. Weder beim Champagner noch in dem verrückten Traum. Wahrscheinlich war es die Einsamkeit gewesen, die sie dazu gebracht hatte, zwischen Traum und Realität zu schweben ...
Die Art, wie er sie berührt hatte ... als würde er ihren Körper besser kennen als sie selbst.
Der würzige Duft eines Holzfeuers, als er sie in die Arme nahm. Die Hitze, die sich in ihr ausbreitete.
Das Gefühl, dass das, was geschehen war, schon vor langer Zeit beschlossen worden war und sie nichts dagegen tun konnte.
Jenna fröstelte. Ein Traum, sagte sie sich. Mehr war es nicht. Sie war heute morgen aufgewacht und hatte entsetzt festgestellt, dass sie im Schlaf die Arme um den Sockel der Statue gelegt hatte. Zu viel zu trinken war eine Sache, aber sich kindisch zu benehmen eine ganz andere. Jenna dankte dem Himmel, dass niemand gesehen hatte, wie sie einen leblosen Gegenstand umarmte, als wäre er die Erfüllung all ihrer Wünsche.
„Geht es dir gut?" fragte Rosalia. „Du siehst so traurig aus."
Auch Liz und Grace musterten sie besorgt.
„Stimmt, das ist mir auch scho n aufgefallen", sagte Liz. „Du wirkst irgendwie betrübt, seit du die Statue fertiggestellt hast."
„Ich will mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen", meinte Grace. „Aber erst gestern habe ich zu meinem Mann gesagt, Jenna ist einfach nicht glücklich."
„Das ist das Problem in diesem Laden", erwiderte Jenna gerührt. „Ihr seid alle viel zu neugierig."
„Wir machen uns Sorgen." Rosalia strich ihr über den Arm. „Wir möchten doch nur, dass du glücklich bist."
Was sollte sie darauf antworten? Sie war ihren Freundinnen dankbar, aber nicht einmal deren Zuwendung konnte die schmerzhafte Leere in ihrem Herzen vertreiben. In der Nacht hatte sie für einen kurzen Moment geglaubt, eine Lösung gefunden zu haben. Doch das war nur ein Traum gewesen, das Ergebnis von zuviel Champagner und zu vielen einsamen Abenden.
„Auf geht's, Leute", rief sie und klatschte in die Hände. „Wir eröffnen in weniger als drei Stunden. An die Arbeit!"
Sie inspizierte die Blumenarrangements, die diskret platzierten Lautsprecher und die gerade erst reparierte Klimaanlage. Im Empfang warteten die Statuen von Kleopatra, Elvis und Marilyn Monroe auf ihre noch fehlenden Kollegen.
„Mike muss die anderen Statuen aus dem Atelier holen", sagte Jenna zu Rosalia.
Rosalia lächelte. „Ich werde ihm helfen. Ich kann es kaum abwarten, Mr. Wunderbar zwischen die Finger zu bekommen."
Die Freundinnen hatten sich über Jenna und ihre letzte Schöpfung lustig gemacht.
Normalerweise entwarf sie die Statuen nur und überließ die Vollendung den Mitarbeiterinnen.
Doch diesmal hatte sie alles allein gemacht, von der ersten Zeichnung bis zur letzten Lackierung, die die Figur fast menschlich wirken ließ.
Vielleicht zu menschlich.
Sie zwang sich, an andere Dinge zu denken.
„Wie war dein gestriger Abend?" fragte sie Rosalia. „War Gil verärgert, weil er warten musste?"
Das Mädchen errötete. „Ich habe ihm alles erklärt."
Jenna konnte sich nur zu gut vorstellen, wie das Gespräch verlaufen war. Sie selbst hatte sich mehr als einmal von Gil anpöbeln lassen müssen, weil Rosalia Überstunden machte und sein Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch stand. „Du brauchst dich vor ihm nicht zu rechtfertigen, Rosie. Warum begreifst
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